Wenige Tage nachdem Hundertausende in Berlin auf die Straße gingen, um für die Black Lives Matter-Bewegung zu demonstrieren, geht ein Video viral, in dem eine junge schwarze Frau erzählt, wie sie in einer Berliner Rossmann-Filiale zuerst von der Verkäuferin und dann von einem Polizisten rassistisch beleidigt und bedroht wurde. Wie Rossmann sich dazu äußert und warum schwarze Frauen einer Zweifachdiskriminierung ausgesetzt sind, erklärt dieser Bericht.
Vanessa H. wollte am 9. Juni 2020 in einer Rossmann-Filiale am Kurfürstendamm in Berlin mit ihrem vierjährigen Sohn zusammen nur schnell einen Einkauf erledigen. Nach der erfolgten Kartenzahlung nahm jedoch das Unheil seinen Lauf: Die Kassiererin fragt Vanessa nach ihrem Ausweis, sie greift jedoch zu ihrer Versichertenkarte, auf welcher nur ihr zweiter Name Berênïcé abgedruckt ist. Schnell findet sie aber auch ihren Ausweis, auf welchem ihre beiden Namen stehen, und übergibt ihn der Angestellten. Die Kassiererin wirft ihr daraufhin Kreditkartenmissbrauch vor und erklärt, dass eine Schwarze wie Vanessa so eine Karte nicht besitzen könne. Ihre Vorgesetzte kommt zur Situation hinzu und unterstützt ihre Mitarbeiterin. Vanessa probiert sich zu erklären und beschwert sich über die rassistischen Aussagen der Verkäuferin. Die Vorgesetzte meint, nur weil Vanessa schwarz sei, müsse sie jetzt nicht mit der „Rassismus-Karte“ ankommen. Andere Kund*innen mischen sich ebenfalls ein, sagen Vanessa solle „die Schnauze halten“ und ihre Maske wieder aufsetzen. Nachdem kein Ende der Diskussion in Sicht erscheint, ruft Vanessa die Polizei. Es kommen zwei Beamte in die Filiale. Der eine geht, nach Vanessas Aussagen, freundlich mit ihr und ihrem Sohn um, der andere stellt sich auf die Seite der Rossmann-Angestellten und fragt ebenfalls, ob Vanessa nicht gelogen habe. Er hat sich das Überwachungsvideo angeguckt und könne Lippenlesen woraufhin er geschlussfolgert habe, dass die Verkäuferin so etwas gar nicht gesagt haben kann. Er fragt Vanessa, ob sie überhaupt die deutsche Sprache verstehe und droht ihr daraufhin mit einer Gefängnisstrafe wegen Falschaussagens. Selbst ihr kleiner Sohn kriegt Angst und fragt, ob seine Mutter ins Gefängnis müsse. Umherstehende Zeug*innen mischen sich in die Diskussion ein und unterstützen Vanessas Aussagen, doch der Polizist ignoriert sie. Vanessa bleibt weiterhin standhaft und fragt den Polizisten nach seinem Namen und seiner Dienstnummer, die er beide nicht preisgeben will. Der Beamte wirft ihr außerdem vor, sie habe ihn beleidigt.
Der Politiker der Linken, Hakan Tas, kam zufällig an der Rossmann-Filiale vorbei und filmte wie Vanessa nach dem Vorfall aufgebracht vor der Filiale steht und emotional erzählt, was ihr gerade widerfahren ist. Dieses Video nutzt er, um die Öffentlichkeit und die Politik von diesem Vorfall zu unterrichten. Auch Vanessa lädt ein Video auf Facebook und Instagram hoch, in dem sie die Situation schildert. Das Video sorgte für viel Aufmerksamkeit im Netz und sickerte bis in die Chefetage von Rossmann durch. Eine Woche nach dem Vorfall veröffentlichte die Drogerie-Kette ein Statement auf Instagram, in dem sie öffentlich ihr Bedauern ausdrückt und versichert an der „vollständigen Aufklärung“ des Falls mitarbeiten zu wollen. Rossmann kündigte außerdem an, ihr Personal eindringlicher gegen Rassismus zu schulen und ein Bezahlsystem einzurichten, bei dem keine Ausweiskontrollen mehr nötig wären. Die Berliner Polizei äußerte sich auf Twitter und bestätigte, dass eine Strafanzeige „und ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung mit rassistischer Motivation eingeleitet wurde[n].“
Der Vorfall bestätigte ein weiteres Mal, dass es Alltagsrassismus auch in Deutschland gibt, eben auch von Behörden der Exekutive. Vanessas Vorfall hat zwar eine große Reichweite bekommen und für viel Öffentlichkeit gesorgt, doch das ist nicht immer der Fall. Gerade schwarze Frauen leiden oft unter einer Zweifachdiskriminierung, oder auch intersektionale Diskriminierung genannt. Der Begriff wurde von der US-amerikanischen Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw geprägt und bezieht sich auf die Problematik der Überlappung von verschiedenen Diskriminierungsformen, was oft dazu führt, dass die betroffenen Gruppen erst Recht in Vergessenheit geraten und aus dem Sichtfeld der Öffentlichkeit verschwinden. Beispielsweise sind hier eben Kombinationen von Diskriminierungsformen wie Sexismus und Rassismus zu nennen, aber auch jegliche Religionsdiskriminierungen, Homophobie, Transphobie oder auch Behindertendiskriminierung spielen in Formen der Mehrfachdiskriminierung mit rein. Diese Formen addieren sich nicht einfach, sondern führen zu neuen Arten der Diskriminierung. Gerade deshalb ist es wichtig, dass sich schwarze Frauen wie Vanessa eine Stimme nehmen und öffentlich über die Ungerechtigkeiten reden, die ihnen widerfahren. Es bleibt zu hoffen, dass hinter dem Vorhaben von Rossmann ein ernstgemeinter Wunsch nach Aufklärung steckt und es sich hier nicht nur um leere Worte handelt. Ebenfalls wünschenswert ist die erfolgreiche Strafverfolgung des zuständigen Polizisten, der scheinbar sehr subjektiv reagiert hatte und der Vanessa offensichtlich nicht wie der berühmte „Freund und Helfer“ zur Seite stand.