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Enthüllungsbücher über Trump verpuffen im leeren Raum

Immer wieder steht einer auf, und versucht dem US-Präsidenten die Stirn zu bieten. Mal schriftlich, mal öffentlich, mal versteckt. Aber letztendlich lodern die Flammen der Entrüstung nur für kurze Zeit auf, danach kehrt dann doch recht schnell wieder Stille ein. Um einen Mann wie Donald Trump zu bändigen braucht es eine große Lobby, eine Mehrheit, ein lautes Aufbegehren. Bücher zu schreiben, auch wenn sie sensationell anmuten, reicht bei weitem nicht aus. Das muss auch Bob Woodward der Star-Journalist, eingestehen. Zu viele Paraphrase, zu wenig „big news“, was gesagt wird, ist bereits hinlänglich bekannt.

Es gibt sie also doch, die Helden im Weißen Haus, sie haben sich nur Iange Zeit gut versteckt. Das jedenfalls war der Eindruck nach der Lektüre von »Fear«, dem letzten Buch der Reporterlegende Bob Woodward, das schon lange in den US-Buchhandlungen liegt. Tagelang sorgten Auszüge für Aufregung in Washington, was beweist, dass der Markt für Enthüllungen aus dem Inneren der Macht längst nicht gesättigt ist. Dennoch ist der Hype um das Buch schnell abgeebbt.

Donald Trump wütete wegen des Buchs auf Twitter, er nennt es »komplette Fiktion«, was dem Autor noch mehr Aufmerksamkeit bringt, als er ohnehin bekommen hätte. Und dann veröffentlichte die »New York Times« – unabhängig von Woodward — den Gastbeitrag eines hochrangigen Regierungsmitarbeiters, der einer Kriegserklärung an den Präsidenten gleichkommt. Der Titel des Artikels lautete: »Ich bin Teil des Widerstands innerhalb der Trump-Regierung«. Der Text war anonym verfasst, seine Kernthese lautet: Der Präsident ist amoralisch und gefährlich für Amerika, ich und andere werden alles daransetzen, seine Macht auszuhebeln und die demokratischen Institutionen zu schützen, bis er weg ist. Man habe sogar darüber beraten, mittels des 25. Verfassungszusatzes die Amtsunfähigkeit des Präsidenten festzustellen und ihn abzusetzen. War Trump erst zornig über das Woodward-Buch, explodierte er danach. Auf Twitter schrieb er zunächst nur ein Wort: »Landesverrat?« Zusammengenommen zeigen Woodwards Buch und der »New York Times« Beitrag, wie feindselig die Stimmung im Umfeld des Präsidenten geworden ist. Die Tatsache, dass ein Kreis von Rebellen existieren soll, ein »stiller Widerstand«, wie der Autor oder die Autorin schreibt, wird Trumps wachsende Paranoia weiter anfachen. Auf Twitter verlangte er von der Redaktion, den Namen des Verfassers preiszugeben, aus Gründen der »nationalen Sicherheit«. Wie hochrangig dieser wirklich ist, ist nur der Zeitung bekannt. Aber dass Trumps wichtigste Mitarbeiter versuchen, ihn einzuhegen, belegt auch Woodwards Buch — so detailreich wie keines zuvor. Das Interessante an »Fear« ist, dass seine zentralen Figuren aus dem riesigen Ensemble der Enttäuschten und Gedemütigten in Trumps engem Zirkel stammen: Minister, Aktenträger, Berater, Anwälte, ehemalige Verbündete. Manche von ihnen sind bekannt, wie James Mattis, der Verteidigungs-minister, oder Gary Cohn, bis März Trumps oberster Wirtschaftsberater; andere muss man erst googeln wie Robert Porter, bis Anfang des Jahres im Weißen Haus zuständig  für das Verteilen sensibler Papiere.

Ihre fast aussichtslose Mission, zumindest in Woodwards Beschreibung, ist der Versuch, Trump zu bändigen, seine schlimmsten Impulse zu dämpfen, als verdeckte Kämpfer. Sie sind die Verhinderer einer ständig drohenden Katastrophe, ein Trupp von Brandbekämpfern, so werden sie jedenfalls dargestellt. Woodward berichtete, wie James Mattis Trumps Anordnung ignoriert, nach einem Giftgasangriff in Syrien einfach den Machthaber Baschar al-Assad zu eliminieren, als Bestrafung. An anderer Stelle stiehlt Robert Porter den Entwurf einer Pressemitteilung vom Tisch des Präsidenten, die vorsieht, die Vereinigten Staaten aus dem Pariser Klimaschutzabkommen zu katapultieren. Und Gary Cohn entfernt ein Dokument vom Tisch, mit dem Trump den Austritt der USA aus dem Freihandelsabkommen mit Südkorea besiegelt hätte. »Es geht nicht darum, was wir für das Land taten«, sagt Gary Cohn an einer Stelle reflektierend. »Es geht darum, woran wir ihn hindern konnten.« Der Erfolg besteht in der Zahl der abgewendeten Apokalypsen. Robert Porter wird zitiert mit den Worten, ein Drittel seiner Arbeit habe darin bestanden, die wirklich gefährlichen Ideen Trumps zu verhindern, »und ihm Gründe dafür zu benennen, dass diese Ideen vielleicht doch nicht so gut sind«.

»Fear« ist das dritte Enthüllungswerk aus Trumps Umfeld, nach »Feuer und Zorn« des Journalisten Michael Wolff und »Unhinged« von Omarosa Manigault Newman, einer Teilnehmerin von Trumps Fernsehshow »The Apprentice«, die er zu sich ins Weiße Haus holte. Wolffs Buch war eine Sensation, enthielt aber Ungenauigkeiten und basierte teilweise auf Hörensagen, Omarosa ist eine TV-Celebrity, keine Journalistin.

Woodward ist eine Ikone des amerikanischen Enthüllungsjournalismus. Er arbeitet seit einem halben Jahrhundert für die »Washington Post«, ein akribischer Rechercheur, der für seine Bericht-  erstattung über Nixons Watergate-Affäre mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Er hat Bestseller über fünf Präsidenten geschrieben, von Richard Nixon bis Barack Obama, wenn es einen Chronisten gibt, dem das Land traut, dann ihm. Auch deshalb schlug das Buch so gewaltig ein. Aber wie schon gesagt, die Enthüllungen verpuffen in Amerika so schnell wie sie gekommen sind. Woodward kommt nicht an den Intrigen‘ und Hässlichkeiten vorbei, an denen sich Wolff und Omarosa nicht sattschreiben konnten, eben weil sie die Ära Trump so prägen. Er beschreibt, wie Verteidigungsminister Mattis lästert, Trump habe das Auffassungsvermögen eines Fünft- oder Sechstklässlers; nachzulesen ist, was Stabschef John Kelly über Trump denkt: »Er ist ein Idiot. Völlig sinnlos zu versuchen, ihn von irgendetwas zu überzeugen. Er ist komplett aus der Spur. Wir sind in Crazytown. Das ist der fürchterlichste Job, den ich jemals hatte.« Letztlich geht es Woodward aber um Größeres. Er skizziert die Anatomie eines Widerstands aus dem Inneren gegen einen ignoranten, brandgefährlichen Präsidenten. Den Aufstand von Bürokraten gegen ein Sicherheitsrisiko, einen schleichenden Coup d’État. Hin und wieder gelingt den Putschisten ein Sieg, der meist von kurzer Dauer ist, wie sich an Trumps Ausstieg aus dem Klimavertrag ablesen lässt, an den Hassbotschaften auf Twitter, die er allen Ratschlägen zum Trotz weiterhin schreibt, oder an selbstzerstörerischen Aktionen wie der Entlassung des FBI-Direktors James Comey, die zur Einsetzung eines Sonderermittlers führte.

Was die Berichte über den hausinternen Widerstand beim Präsidenten auslösen, lässt sich nur erahnen. Trump merkt, wie sich die Erdplatten unter ihm verschieben. Alte Verbündete wenden sich von ihm ab, sein einstiger Leibanwalt Michael Cohen kooperiert mit Ermittlern in New York, um einer Haftstrafe zu entgehen, andere langjährige Mitarbeiter verhalten sich ähnlich. Trump, der Paranoiker, muss einsehen, dass er die ganze Zeit recht hatte: Er kann wirklich niemandem trauen. Schlangen lauern überall. Er muss froh sein, dass die Republikaner im Senat ihm in diesen Tagen zu einem wichtigen Sieg verhelfen: Sie werden wohl bald seinen Kandidaten für den Obersten Gerichtshof installieren, Brett Kavanaugh, der die Gewichte in der dritten Gewalt deutlich nach rechts verschieben kann. Das erklärt umgekehrt, warum so viele Republikaner öffentlich zu ihm halten: Trump hilft ihnen, umzusetzen, was sie seit Langem wollen — zunächst massive Steuersenkungen, Deregulierung und nun die Mehrheit am Obersten Gerichtshof.

John Kelly und James Mattis ließen am Dienstag mitteilen, dass die Zitate, die ihnen von Woodward zugeschrieben wurden, erfunden seien — was sie wohl auch mussten. Davon abgesehen fand sich lange Zeit kein hochrangiger Mitarbeiter, der den Präsidenten gegen Woodwards Schilderungen in Schutz nahm. Bob Woodward belegt, wie andere vor ihm, dass Trump seine Mitarbeiter und Unterstützer verächtlich bis hasserfüllt behandelt. Seinen damaligen Stabschef Reince Priebus nannte er Woodward zufolge eine »kleine Ratte«, seinen Justizminister Jeff Sessions einen »bescheuerten Südstaatler«, »geistig zurückgeblieben«. Wie Sessions und die anderen auf die ständigen Demütigungen reagieren, erzählt Woodward nicht. Warum lassen sich Erwachsene so etwas gefallen? Warum bleiben so viele im Amt, die vor Trump auf eine glänzende Karriere blicken konnten, darunter die Ex-Generäle James Mattis und John Kelly? Und warum schreibt ein Regierungsmitglied einen anonymen Gastbeitrag, anstatt die Arbeit für diesen Präsidenten einzustellen, zu kündigen und diesen Mann mit offenem Visier politisch zu bekämpfen?

Es wirkt, als wollten sich einige Trump Mitarbeiter schon für die Zeit nach dieser Präsidentschaft absichern, indem sie mit Woodward reden oder anonyme Beiträge schreiben. Als wollten sie später sagen können, dass sie nicht aus Machtgier, sondern aus Pflichtgefühl im Weißen Haus geblieben seien. Es lag in jenen schwülen Spätsommertagen eine Spur Endzeitstimmung über Washington, mal wieder. Es ist ein bedrohliches Zeichen für jeden Präsidenten, wenn sich derart viele aktuelle und ehemalige Unterstützer dazu bekennen, seine Ideen aktiv hintertrieben und deren Umsetzung verhindert zu haben.

Bob Woodward hat seinem Buch ein Trump-Zitat aus dem Wahlkampf 2016 vorangestellt, ausgesprochen noch bevor er Kandidat der Republikaner wurde: »Echte Macht bedeutet — ich will das Wort eigentlich gar nicht benutzen — Angst.« Es ist ein bemerkenswert offener Satz, weil er beschreibt, wonach Trump sich noch vor Beginn der Präsidentschaft sehnte: nach der Allmacht eines Herrschers, der all jene das Fürchten lehrt, die sich ihm widersetzen. Inzwischen kehren sich die Verhältnisse um. Die Zahl der heimlichen Deserteure setzt den Präsidenten unter Druck. Trump muss einsehen, dass in einer Demokratie auch derjenige Angst haben muss, der glaubt, allmächtig zu sein. Vieles ist Stückwerk, was man versucht, um den Präsidenten zu stürzen oder ins Wackeln zu bringen, und deshalb sind diese ganzen Enthüllungsbücher lediglich bescheidene Versuche, den berühmten Stein ins Rollen zu bringen.

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