Auch wenn die Demokraten die US-Wahl für sich entscheiden konnten, bedeutet es nichts. Der designierte US-Präsident steht für die nächsten Jahre vor großen Herausforderungen.
Biden hat die Mehrheit der Wahlmänner hinter sich. Doch ob er die Kontrolle im Senat erlangt, ist noch offen. Die Biden-Agenda ist lang: die Stärkung der Stimmrechte, die Schaffung einer öffentlichen Option für eine Krankenversicherung und die Verabschiedung eines Klimaschutzgesetzes stehen darauf.
Wie die vergangenen vier Jahre gezeigt haben, hat der Präsident immer noch die Macht, das Land durch exekutive Maßnahmen zu verändern. Hier sind einige Themen, bei denen der designierte Präsident Joe Biden mit oder ohne Hilfe des Kongresses vorankommen könnte.
Der Virus
Biden trifft bereits Vorbereitungen, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen, die fast einer Viertelmillion Amerikaner das Leben gekostet hat. Jedoch wird Biden erst ab dem 20. Januar die nötigen Entscheidungen zur Eindämmung des Coronavirus treffen können. Das bedeutet, es wären theoretisch noch weitere 100.000 Coronatote bis dahin zu beklagen, wenn Trump nicht vorher eingreift.
Der zukünftige Präsident wird zwar keine Maskenpflicht einführen können, doch er kann endlich eine einheitliche nationale Strategie aufstellen. Virologen beklagen, dass deren Fehlen weithin als zentraler Punkt für den Misserfolg der amerikanischen Pandemiebekämpfung gilt.
Biden kündigte an, eine 13-köpfige Task Force aus Experten des öffentlichen Gesundheitswesens zu gründen. Mit dieser soll sichergestellt werden, dass die Medikamentenproduktion im heimischen US-Markt geleistet werden kann und die Mitarbeiter aller Ministerien und auf Bundesgrundstücken Masken tragen müssen.
Der Klimawandel
Die Vereinigten Staaten stiegen am Tag nach der US-Wahl offiziell aus dem Pariser Klimaabkommen aus. Diese Entscheidung will Biden an seinem ersten Arbeitstag als Präsident rückgängig machen. An sich ist dieser Schritt nur eine Geste, da das Pariser Abkommen keine verbindliche Rechtskraft hat. Und Biden ist ambitioniert: bis 2035 will er, dass die USA ihre Stromproduktion zu 100 Prozent emissionsfrei herstellt.
Aber das bedeutet nicht, dass Biden bis Januar 2021 die Hände gebunden sind. Er könnte zum Beispiel die von Präsident Trump zu Beginn seiner Amtszeit erlassene Ausführungsverordnung aufheben, mit der die Regelungen der Obama-Ära aufgehoben wurden, die die globale Erwärmung eindämmen und die Entwicklung fossiler Brennstoffe fördern sollten.
„Die Rücknahme von Ausführungsverordnungen kann sofort erfolgen“, sagte Michael Burger, der geschäftsführende Direktor des Sabin Center for Climate Change Law an der Columbia University, gegenüber der Times. „Das ist eine große Sache, denn die Ausführungsverordnungen geben den Verwaltungsbehörden die Richtung vor, wie sie ihren Ermessensspielraum nutzen können und welche Prioritäten für die Verwaltung gelten.
Schulden wegen Studienkrediten
Die Amerikaner haben mehr als 1,6 Milliarden Dollar an Studienkreditschulden, eine enorme Summe, die sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt hat. Da der Großteil dieser Schulden in den Zuständigkeitsbereich des Bildungsministeriums fällt, haben Aktivisten, Rechtsgelehrte und Gesetzgeber argumentiert, dass der Präsident weitreichende Befugnisse hat, diese Schulden zu erlassen.
„Es gibt ungeheuer viel, was ohne den Kongress getan werden kann“, sagte Felicia Wong, die als Beraterin im Biden-Übergangsgremium tätig ist, gegenüber der Times. So kann Biden den Kreditnehmern 10.000 Dollar erlassen, vor allem für Personen, die weniger als 125.000 Dollar im Jahr verdienen.
Einwanderung in die USA
Den größten Einfluss hat Präsident Trump in der Einwanderungspolitik ausgeübt. „Durch administrative Anordnungen, strikte Durchsetzung und bloße Drohung“, schrieb die Times-Redaktion im Oktober, „hat das Weiße Haus praktisch jeden Aspekt der Einwanderung, ob legal oder illegal, in Frage gestellt“.
Trumps Einfluss auf das amerikanische Einwanderungssystem war so weitreichend, dass viele Experten sagen, dass es schwierig sein wird, sein Erbe zu tilgen. „Es hat sich in den letzten vier Jahren so viel verändert, dass eine neue Regierung die Dinge in vier oder sogar acht Jahren nicht mehr rückgängig machen könnte“, sagte Sarah Pierce, eine Politikanalytikerin am Migration Policy Institute, gegenüber der Times.
Dennoch gibt es viele Gegenmaßnahmen, die Biden ergreifen könnte – und versprochen hat, dies zu tun:
- Wiederaufnahme des Programms „Deferred Action for Childhood Arrivals“ („Aufgeschobene Handlung bei Ankünften im Kindesalter“ besagt, dass bestimmte illegale Einwanderer, die bereits als Minderjährige in die USA gekommen waren, für zwei Jahre vor einer Abschiebunggeschützt werden und ihnen den Zugang zu einer Arbeitserlaubnis ermöglicht wird), das Präsident Trump 2017 beenden wollte.
- Erhöhung der Zahl der jährlichen Aufnahme von Flüchtlingen in die Vereinigten Staaten, die die Trump-Regierung von 110.000 unter der Obama-Regierung auf ein Rekordtief von 15.000 Migranten gesenkt hat
- Schaffung einer Task Force, um die verbleibenden 545 Kinder, die von der Trump-Regierung an der Grenze getrennt wurden, mit ihren Familien wieder zusammenzuführen.
- Aufhebung des Reiseverbots für Reisen aus 13 Ländern, von denen die meisten entweder mehrheitlich muslimisch oder afrikanisch sind.
- Abschiebung wird nur auf Migranten angewendet, welche wegen eines Verbrechens verurteilt wurden.
Langfristig könnte Bidens Einwanderungsagenda auch von der seines ehemaligen Chefs abweichen: Die Obama-Regierung hatte Millionen von Einwanderern abgeschoben, was Biden als „großen Fehler“ bezeichnete.
Polizeiarbeit
Biden und die designierte Vizepräsidentin Kamala Harris haben ihre Absicht bekundet, mit dem Kongress zusammenzuarbeiten.
- Schaffung eines klaren bundesstaatlichen Standards für den Einsatz von Polizeigewalt.
- Die Wiedereinführung einer Ausführungsverordnung aus der Obama-Ära, die den Transfer von militärischer Ausrüstung an die Polizeibehörden einschränkt.
- Verstärkung der Aufsicht durch die Schaffung einer nationalen Polizeiüberprüfungskommission.
- Anweisung an das Justizministerium, Zustimmungserlasse für örtliche Polizeidienststellen, um gegen Fehlverhalten vorzugehen.
Stärkung von Arbeitnehmerrechten
Wahrscheinlich kann Biden den Mindestlohn für alle Arbeitnehmer nicht landesweit durchsetzen. Aber er kann den Mindestlohn für Auftragnehmer auf Bundesebene von derzeit 10,80 Dollar auf 15 Dollar pro Stunde oder mehr anheben.
Die Obama-Administration hat zwar Schritte unternommen, um Lohnverhandlungen zu erleichtern, aber einige Gewerkschaftsführer argumentieren, dass diese sich nur langsam in der Praxis durchgesetzt hätten.