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Frauen in Deutschland werden immer später schwanger

Früher wurde man mit 25 Jahren zum ersten Mal Mutter, heute liegen 10 manchmal 15 Jahre dazwischen. Obwohl die „biologische Uhr“ bei den Frauen tickt, was auch Nachteile für Mutter und Kind mit sich bringt, ignorieren immer mehr Frauen diese Gefahren. Sie befürchten in vielen Fällen einen Karriereknick und verschieben die Familienplanung deshalb immer weiter nach hinten.

Immer mehr Promi-Frauen machen es vor: Sie bekommen ihre Kinder im späten Alter, sind über 40 oder sogar über 50 Jahre. Der Anteil von über 40-Jährigen hat sich in den Geburtsstatistiken der vergangenen Jahre erhöht. Von zwei Prozent im Jahr 2000 auf fast fünf Prozent im Jahr 2015. Bei der Mutterschaft 50 plus sind die relativen Veränderungen im selben Zeitraum noch eindrucksvoller: Die Zahl stieg von 17 auf 134, ist also fast achtmal so hoch. Im Gesamtdurchschnitt sind Mütter in Deutschland bei der Geburt ihres ersten Kindes rund 30, 1980 waren sie 26,4 Jahre alt.

Erst Job und verlässlicher Partner, dann Kinder

Der Trend zur späten Mutterschaft hat eine Reihe von Gründen. Frauen mit guter Ausbildung wollen sich erst beruflich etablieren, finanziell absichern, reisen, Hobbys pflegen und auch den passenden Partner finden. Aus der medizinischen Perspektive gibt es ein Zeitfenster, das für Empfängnis und Geburt eines Kindes besonders gut geeignet ist. „Die Zeit zwischen dem 20. und dem 35. Lebensjahr ist günstig“, sagt Dr. Babett Ramsauer, Leitende Oberärztin der Klinik für Geburtsmedizin im Vivantes Klinikum Neukölln. „In dieser Zeitspanne ist es für Frauen leichter, schwanger zu werden, nach dem 40. Lebensjahr sinkt die Fruchtbarkeit bis auf unter zehn Prozent. Auch die Geburt verläuft in der Regel komplikationsloser. Mit zunehmendem Alter lässt die Qualität der Eizellen nach, das Risiko für Fehl- oder Frühgeburten steigt.“

Trotzdem überwiegen für einen großen Teil von Frauen mit Kinderwunsch die Vorteile einer späten Schwangerschaft. Sie fühlen sich psychisch stabiler, gelassener, materiell besser ausgestattet und beurteilen ihre Partnerschaft als belastbar und verlässlich. Dazu leben Frauen heute gesünder als früher, treiben mehr Sport, sind biologisch fitter und rauchen weniger. Doch Dr. Babett Ramsauer gibt zu bedenken: „Die Gefahr einer Zuckererkrankung in der Schwangerschaft steigt ab 35 Jahren an. In dem Alter sind Frauen bereits öfter gesundheitlich vorbelastet, leiden häufiger an Rückenproblemen, Bluthochdruck, Diabetes oder anderen chronischen Erkrankungen. Auch die Elastizität des Bindegewebes lässt ab etwa 30 deutlich nach. Vor allem im letzten Drittel der Schwangerschaft kann das zu vorzeitigen Wehen oder einer Schwäche am Gebärmutterhals führen.“ Wichtig für Spätgebärende ist daher eine gute medizinische Überwachung und Behandlung.

Späte Eltern prägen das Kind

Grundsätzlich passt die Entwicklung zur späten Mutterschaft auch zur Einstellung der meisten Männer heutzutage. Viele fühlen sich mit Anfang 30 noch nicht reif für die Vaterrolle. Entsprechend korreliert das höhere Alter der Mutter mit dem des Vaters. Tatsache ist allerdings, dass sich die Spermienqualität der Männer ab einem Alter von 50 Jahren verschlechtert. Auch muss er sich darauf einstellen, vielleicht gleichzeitig die Einschulung seines Sohnes oder seiner Tochter und seinen 50. oder gar 60. Geburtstag zu feiern. Ob er sich wohlfühlt bei Elternabenden, neben den jüngeren Vätern, auf dem Fußballplatz, wenn es heißt „Eitern spielen heute gegen die Kids“, oder im Schwimmbad auf dem Zehn-Meter-Brett, wenn der Nachwuchs mit dem sportlichen Papa angeben möchte?

Neben den medizinischen spielen eben auch die psychosozialen Aspekte eine maßgebliche Rolle. Das Alter der Eltern prägt das Leben des Kindes. Die Kinder „später Ettern“ wachsen oft ohne Geschwister auf, die Großeltern sind häufig schon verstorben, und das Umfeld ist mehr auf Erwachsene als auf Gleichaltrige bezogen. Spätestens die Pubertät offenbart, wie stark die Werte der Eltern sich von denen der Heranwachsenden unterscheiden. Sind diese dann erwachsen, müssen sie sich häufig gleichzeitig um ihren eigenen Nachwuchs wie auch um die pflegebedürftigen Eltern kümmern.

Medizinisch ist vieles möglich

Die Fortpflanzungsmedizin hat in den letzten 40 Jahren enorme Fortschritte gemacht. Die Geburt des ersten Retortenbabys 1978 ermutigte Frauen, ihre Familienplanung aufzuschieben. Mit In-vitro-Fertilisationen (IVF), intrazytoplasmatischen Spermien-Injektionen (ICSI) oder den in Deutschland verbotenen Eizellspenden können sie theoretisch auch spät noch schwanger werden. 2015 wurden in der Bundesrepublik erstmals über 20.000 Kinder mithilfe dieser Verfahren geboren (2011: circa 7.000), weltweit sind es mittlerweile mehr als acht Millionen. Aktuell häufig im Gespräch: das Social Freezing. Hierbei werden der Frau unbefruchtete Eizellen entnommen und schockgefroren. Sie können später künstlich befruchtet und zu einem beliebigen Zeitpunkt in den Mutterleib eingesetzt werden – damit wird die biologische Uhr angehalten. Neben den grundsätzlichen ethischen Einwänden zu allen Methoden der Fortpflanzungsmedizin kommen beim Social Freezing weitere Bedenken hinzu. Obwohl mit Elternzeit und Elterngeld, Wiedereinstiegsmöglichkeiten ins Berufsleben, Teilzeitmodellen und Ganztagsbetreuung sinnvolle Instrumente zur  Unterstützung von Familien geschaffen wurden, haben laut Umfragen zwei Drittel der Deutschen den Eindruck: Familie und Beruf passen bei uns nicht gut zusammen. Regierung und Politik sollten hier weitere wirkungsvolle Anreize setzen. Anders sieht es in den USA aus. Technologieunternehmen wie Apple oder Facebook ermutigen ihre Mitarbeiterinnen zum Social Freezing: Sie übernehmen die Kosten, die dort bei etwa 8.000 Euro liegen. Die Firmen sorgen sich — um ihre Frauenquote: Die Mitarbeiterinnen sollen sich nicht durch Gedanken an die Familienplanung davon abhalten lassen, Herausforderungen anzunehmen und den nächsten Karriereschritt anzugehen. Das Einfrieren der Eizellen nimmt ihnen den Zeitdruck und sichert den Unternehmen leistungsfähige Frauen am Arbeitsplatz. Ist das in naher Zukunft auch in Deutschland denkbar? Familienplanung ist wahrlich kein Kinderspiel.

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