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Du musst beatmet werden? Ab ins Heim!

Das Dilemma um Jens Spahns Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz.

Kurz und knapp: Der Gesetzentwurf und seine Hintergründe

Der Referentenentwurf des Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetzes aus dem Gesundheitsministerium will eine bessere Betreuung von Beatmungspatienten gewährleisten.

Um bessere Qualitätsstandards zu erreichen, soll die Intensivpflege der Betroffenen zukünftig nur noch in Ausnahmefällen zu Hause stattfinden. Stattdessen sollen Patienten in Pflegeheimen oder speziell betreuten Wohngemeinschaften untergebracht werden. Gleichzeitig ist vorgesehen, die finanzielle Eigenleistung, die von Betroffenen oder Angehörigen erbracht werden muss, zu senken und so die Pflege im stationären Rahmen attraktiver zu machen. Da mit durchschnittlich 20.000 Euro monatlich das Budget für einen Beatmungspatienten relativ hoch ist, besteht die Gefahr von Abrechnungsbetrügereien von Pflegediensten. Dies möchte das Ministerium unterbinden. Ein daran anschließendes Problem ist, dass nach einem Eingriff im Krankenhaus die Patienten nicht ausreichend von den Beatmungsgeräten entwöhnt werden, obwohl dies oftmals möglich wäre. Auch hier werden finanzielle Motive vermutet.

Der Widerstand:

Der Proteststurm Betroffener folgte kurz nach Veröffentlichung des Entwurfs. Eine Petition von ALS-mobil und AbilityWatch hat inzwischen knapp 75.000 Unterschriften. Mit dem Hashtag #NichtmeinGesetz twitterten viele Betroffene und Unterstützer über ihren Unmut. Zentraler Punkt ist, dass Betroffene zukünftig in Einrichtungen statt zu Hause untergebracht werden sollen. AbilityWatch nennt den Entwurf einen „Skandal“, der die Würde von Menschen missachte und sie in ihrem Alltag diskriminiere.

Stimmen von Unterstützern des Entwurfs:

Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) sprach sich insofern für den Entwurf aus, als dass der Gewinnmaximierung auf Kosten Betroffener Einhalt geboten werden könne. Beatmungspatienten seien oftmals länger als nötig an Maschinen angeschlossen, da dies lukrativer sei als sie frühzeitig von den Geräten zu entwöhnen.

Werden Patienten Zuhause gepflegt, erhalten Anbieter von Pflegediensten bis zu 25.000 Euro monatlich. Der Präsident der Vereinigung Professor Uwe Janssens sieht im Entwurf allerdings noch einige Aspekte, die überarbeitet werden müssten: So müsse zwingend der Patientenwille beachtet werden und eine Indikation durch Ärzte aus der Intensivmedizin gewährleistet sein.

Auch der Verband der Ersatzkassen (vdek) begrüßte in erster Reaktion Spahns Pläne und die damit verbundenen hohen Qualitätsansprüche an die Pflegeeinrichtungen, da die derzeitigen Wohngemeinschaften nicht die beste Qualität böten.

Der Bundesverband Schädel-Hirnpatienten in Not e.V. lobte die Initiative, da eine stationäre „Bestversorgung“ oftmals aus finanziellen Gründen von den Familien nicht gewährleistet werden könnte. Somit sei der Entwurf für Betroffene, die rund um die Uhr Versorgung benötigten, ein erster Schritt zurück ins Leben.

Gegenstimmen zum Entwurf:

AbilityWatch ist eine Aktionsplattform, die sich im Rahmen einer Behindertenbewegung in Deutschland mit politischem Engagement für die Rechte von Menschen mit Behinderung einsetzt und zu Protesten aufgerufen hatte. Das Aktionsbündnis kritisiert den Entwurf scharf, da durch die häusliche Pflege ein selbstbestimmtes Leben mit gesellschaftlicher Teilhabe und Arbeit nicht mehr möglich wäre.

ALS-mobil ist ein Verein von und für ALS-Betroffene. ALS ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, das zu einer Schädigung bestimmter Nervenzellen führt, die für die Steuerung der Muskeln zuständig sind. Die Muskeln erhalten nicht mehr genügend Reize vom Nervensystem und bilden sich zurück. Früher oder später ist auch die Atmung betroffen und deswegen eine künstliche Beatmung notwendig. Der Verein setzt sich für die Belange Betroffener ein und ist maßgeblich an der Petition und den Protesten beteiligt. Eine Entwöhnung der Beatmung sei bei ALS-Erkrankten nicht möglich und somit der Weg in ein Pflegeheim unausweichlich.

Auch der Geschäftsführer des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) warnte vor einem „Schnellschuss“, der für viele Betroffene „weitreichende Leistungseinschnitte“ bedeuten würden. Gerade für Menschen mit ALS oder einer hoch sitzenden Querschnittslähmung würde dieser Entwurf das Recht auf Inklusion und Selbstbestimmung erheblich einschränken.

Fazit?

Der Entwurf des Reha- und Intensivpflegegesetzes scheint die Meinungen zu spalten. Sehen Unterstützer von Betroffenen vor allem die große Problematik mit der zukünftigen Selbstbestimmung, fokussieren sich Verbände aus dem medizinischen Fachbereich eher auf die problematischen Zustände, die dieses Gesetz aus der Welt schaffen möchte und befürworten die Initiative des Ministeriums. Doch bei genauerem Hinsehen driften die Meinungen gar nicht so weit auseinander. Alle Beteiligten sehen die derzeitige Problematik bei der ambulanten Versorgung von Beatmungspatienten. So sind auch die Protestler der Meinung, dass Abrechnungsbetrügereien Einhalt geboten werden müsse, eine Entwöhnung von den Beatmungsmaschinen nach Krankenhausaufenthalten oft nicht konsequent genug durchgeführt werde und es dringend notwendig sei die Lage in der ambulanten Versorgung zu verbessern. AbilityWatch gibt neben der fehlenden Würde und der Selbstbestimmung zu bedenken, dass dieses Gesetz nur vordergründig die Versorgungsqualität verbessern möchte und zitiert einen Satz aus dem Entwurf: „Durch Verbesserungen der Qualität […]  verbunden mit einer regelhaften qualitätsgesicherten Leistungserbringung in vollstationären Pflegeeinrichtungen, […] oder in speziellen Intensivpflege-Wohneinheiten können im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung bei voller Jahreswirkung erhebliche Minderausgaben in einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag entstehen.” (S. 18) Es werde deutlich, dass das Gesetz nur Kosten einsparen wolle.

Jens Spahn reagierte zwar auf die Proteste, schlug jedoch noch keine konkreten Änderungen vor.

Es scheint, als gäbe es um diesen Entwurf noch einiges an Diskussionsbedarf, jedoch nicht mehr viel Zeit. Die Frist für offizielle Stellungnahmen der Verbände und Interessensvertretungen läuft am 06.09.2019 ab. Am 11.09.2019 folgt eine Anhörung im Ministerium und noch in diesem Jahr könnte das Gesetz beschlossen werden. Ab 2021 könnte das Gesetz in Kraft treten.

2 COMMENTS

  1. Der Spahn ist mir zu revolutionär, zu vorschnell. Alleine schon sein Organspende-Appell ist ein „Witz“ meiner Meinung nach. Er will das Selbstbestimmungsrecht der Menschen beschneiden. Das geht gar nicht!

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