Corona hat in der Krise auch ihre guten Seiten. Die Stadt ist so ruhig wie in den letzten 50 Jahren nicht mehr, die Luft ist klar und die gewaltige Größe der Stadt wirkt in ihrer Stille und Beschaulichkeit fast provinziell und entspannt. Die wenigen Spaziergänger, die durch die Straßen gehen, genießen das unerwartete Glück von Krach, Verkehr und Menschenmassen verschont zu werden. Denn Berlin hat eigentlich ganz andere Seiten, ein völlig anderes Gesicht: Das der Raser und Poser, die mit teuren oder aufgemotzten Nobelkarossen durch die belebten Straßen der City rasen, die mit röhrenden Auspuffanlagen absichtlich die Menschen erschrecken und meinen, sie wären die ganz große „Nummer“. Und dann gibt’s da die vielen Angeber und Möchtegern-Reichen, die mit teuren Handtäschchen, überteuerten Designer-Klamotten und blinkenden Uhren am Handgelenk die Welle machen. Und am Schlimmsten sind die Poser, die Selbstdarsteller, die die belebten Straßen auf und ab fahren, den Arm lässig aus dem Seitenfenster gehängt und auf der Suche nach neugierigen Blicken aus einem der vielen Straßencafes, wo sie verzweifelt Beachtung finden wollen. Sie alle haben derzeit keinen Grund, ins Stadtzentrum rund um den Kudamm oder in den vielen Einkaufsstraßen und Shopping-Centern ihr Unwesen zu treiben, weil niemand da ist, der sie „bewundert“. Herrlich, wie schön die Hauptstadt lebt, wenn es ruhig und gemessen ist.
Man erkennt Berlin in diesen Tagen nicht mehr wieder. Man kann in Büros oder Wohnungen im Stadtzentrum tatsächlich den ganzen Tag Fenster oder Balkontür offenstehen lassen, um die erste Frühlingssonne in die Räume zu lassen und um den Blick und die Lage in vollen Zügen zu genießen. Man atmet tatsächlich so etwas wie frische, saubere Luft und hört kein Hupen, Bremsen oder quietschende Reifen. Man kann in Ruhe und unbelästigt von Schnorrern, Musikanten oder Straßenclowns seinen Hund ausführen oder sich die vielen eher unbekannten Stadtviertel (Kieze) einmal anschauen. Solche, die man sonst meidet, weil sie kein schönes Bild abgeben mit allem, was sich normalerweise dort abspielt. Drogenhandel, Prostitution, grölender Pöbel vor Clubs und Shisha Bars, zugeparkte Bürgersteige, Linienbus an Linienbus und unzählige Menschen, die rücksichtslos durch die Straßen walzen, solche, die von Anstand und Benehmen noch nie etwas gehört haben. Auch das Wort „Respekt“ haben die meisten Leute in den sogenannten „Problem-Kiezen“ noch nie gehört. Aber durch CORONA ist jetzt alles anders, und Berlin zeigt ein anderes Gesicht. Ein freundliches, strahlendes, welches man der Hauptstadt niemals zugetraut hätte.
Natürlich braucht es Leben in einer Weltstadt wie Berlin, ohne Frage, denn was ist eine Metropole ohne Menschen, ohne Besucher aus aller Welt, ohne Großstadt-Atmosphäre, ohne Cafes und Restaurants, ohne Clubs, Theater und Bühnen? Das passt irgendwie nicht und dennoch ist es ein beruhigendes Bild, wenn so ein Schmelztiegel plötzlich und unerwartet zur Ruhe kommt. Dann wirken Orte wie der Schlachtensee oder das Cafe am Neuen See, der schöne Grunewald oder auch der Halensee und der Potsdamer Platz beschaulich und pittoresk. Dann wird selbst ein Spaziergang durch die Stadt oder ihre Randgebiete zu einer Entdeckungstour in unbekannte Gefilde und Natur und Umgebung verschmelzen zu einer Stätte der Beschaulichkeit. Und das in einer Großstadt mit 3,5 Millionen Einwohnern. Man kann es kaum glauben. Und so sollte man in den kommenden Wochen, so nervig und deprimierend sie für die meisten von uns sind, die Ruhe in Berlin genießen und immer daran denken, wenn sie erst einmal wiederkommen, die vielen Poser, Raser und Angeber, dann wird uns schnell wieder bewusst, wie oberflächlich, unpersönlich und nervenaufreibend das Leben in der Hauptstadt eigentlich ist.
Ein richtig guter Situations-Bericht über Berlin, dessen hässliche Seiten normalerweise überwiegen. Jetzt ist es angenehm und „menschlich“ in der Hauptstadt und die Idioten mit den dicken Karren (großes Auto – kleiner Verstand) sind in ihren Plattenbauten verschwunden. Herrlich, ja das stimmt!