Mitteldeutsches Journal

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104 Prozent mehr Miete als vor einer Dekade

Mit 104 Prozent ist Berlin mit weitem Abstand Spitzenreiter betreffs der Mietsteigerung während der vergangen 10 Jahre. Das Mietwohnungs-Suchportal „immowelt“ hat eine Statistik der bei ihnen angebotenen Mietobjekte veröffentlicht, wie sich die Nettokaltmieten zwischen 2008 und 2018 entwickelt haben. Demnach hob der statistische Medianwert in der Hauptstadt von 5,60 Euro auf 11,40 Euro pro Quadratmeter ab. Im Jahresschnitt bedeutet das eine Steigerung von 7,4 Prozent. Die Lohnzuwächse bewegten sich gemäß Daten aus dem statistischen Bundesamt (bundesweit) im selben Zeitraum in einer Bandbreite zwischen 0,1 und 4,8 Prozent pro 12 Monate. Im Laufe von 10 Jahren summierte sich der Zuwachs auf fast 48 Prozent. Das entspricht 4 Prozent pro Jahr – und bleibt damit weit unter der Messlatte, diese gestiegenen Mieten aufzufangen. Die Berliner sind demnach stark von der Gentrifizierung betroffen, die Wohnkosten entwickelten sich weit dynamischer als die Einkommen. Diese Zahlen schaffen eine Ahnung, welche Grundlagen die Berliner Lokalpolitik zu Maßnahmen wie der anstehenden Mietpreisdeckelung bewegen.

Die Hauptstadt wird damit zum Testlabor zum Ausloten der Möglichkeiten: wie der Schutz der Mieter gewährleistet werden kann, in von Mangel geprägten Märkten. Der Testlauf wird in anderen Großstädten wie München, Frankfurt oder Köln genau beobachtet. Der Mietendeckel soll für die rund 1,5 Millionen nicht preisgebundener Mietwohnungen gelten. Wohnungen mit Mietpreisbindung sind nicht betroffen. Für alle bestehenden Mietverhältnisse soll künftig ein gesetzlich festgelegter Mietenstopp gelten. Für die festgelegte Mietobergrenze sind 7,97 Euro pro Quadratmeter im Gespräch. Auch bereits bestehende Verträge sollen auf Antrag auf diese Grenze abgesenkt werden können. Neuvermietungen werden auf höchstens die vorherige Miete beschränkt, sofern diese nicht schon die jeweils festgelegte Mietobergrenze übersteigt.

Platz 2 nimmt München mit einer Steigerung der Wohnkosten von 61 Prozent ein, was einem Plus von jährlich 4,9 Prozent entspricht. Absoluter Spitzenreiter ist und bleibt die bayerische Landeshauptstadt in Hinsicht auf die Quadratmeterpreise. Hier hatte man schon 2008 die Marke erreicht, an der Berlin erst heute steht: 11,10 Euro waren es 2008, 10 Jahre später dann 17,90 Euro. „Überraschungssieger“ Nürnberg wirft einen Mietzuwachs von 54 Prozent über eine Dekade in die Waagschale, was rechnerisch jährlich eine um 4,4 Prozent höhere Summe bedeutet. Mit sehr geringem Abstand folgen Hannover (52 Prozent) und Hamburg (49 Prozent).

An dieser Stelle kann ein Strich gezogen werden, denn in den nachfolgenden Städten bewegte sich der nominelle Mietanstieg unter dem nominellen Einkommenszuwachs. Frankfurt nimmt sich mit einem Anstieg um 42 Prozent bescheiden aus, verglichen mit den Lohnzuwächsen von 48 Prozent im selben Zeitraum. Das entspricht jährlich 3,6 Prozent mehr für die Miete. Mit Spannung können die Zahlen des Jahres 2019 erwartet werden, wenn all die durch den Brexit aus London vertriebenen Zuzügler in der Statistik angekommen sind. Mehr oder weniger gleichauf liegen Stuttgart (41 Prozent), Düsseldorf (36 Prozent), Dortmund, Dresden und Leipzig (alle 35 Prozent), auf das Jahr gerechnet mit einem Mehr um die 3 Prozent. Dabei ist Dortmund mit einem Anwachsen von 5,20 auf 7,00 Euro noch insgesamt sehr preiswert. Den Negativ-Ausreißer bildet Köln mit 30 Prozent, was 2,7 Prozent im Jahresschnitt gleichkommt. Die geringste Mehrbelastung erfuhren die Mieter in Essen: Sie haben 21 Prozent über 10 Jahre zu kalkulieren, was 2 Prozent im Jahr ausmacht. Mit Quadratmeterpreisen von 6,80 Euro in Essen bietet die Ruhrmetropole 2018 noch immer die moderatesten Grundkosten.

Die Zahlen sind nicht ganz frisch, aber noch immer beeindruckend: 163.000 Einwohner zählt der Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg, wenn auch 2001 aufgegangen im neu gebildeten Großbezirk Pankow. Im „Kreuzberg des Ostens“ hatten sich vor der Wende all die Unangepassten in den verwinkelten Altbauwohnungen eingerichtet. Nach der Wende blühte in großer Zahl die Subkultur, von illegalen Kneipen über Theater ohne Namen bis hin zu vom Bezirk unterstützten Fahrradschrauberwerkstätten oder Kulturhöfen in alten Industriebrachen. Das quirlige Areal Prenzlauer Berg wurde zur bekannten Größe mit Ökomarkt und zog in hohen Summen Sanierungsmittel an.

100.000 Zuzüge waren vor geschätzt 10 Jahren in den 20 Nachwendejahren gezählt worden, und 100.000 Wegzüge. Ein Großteil der Bevölkerung ausgetauscht, 61 Prozent. Yogastudios und Brazilian-Waxing lockt jetzt da Kunden an, wo zuvor noch echte Bäcker oder Schuster ihr Domizil hatten. Arbeitslosenberatung oder Anwohner-Filmclubs mit schrägem Programm wie Werbefilmen aus der DDR wichen Heilpraktikerpraxen oder Facharztzentren. Das wilde Aufbruchsleben aus Nachwendezeiten verschwand vollständig zu Gunsten von teurer und hoch individueller Feelgood-Kultur. Selbst in politisch geschützten Sanierungsgebieten wie dem Kollwitzplatz lebten Ende 2008 nur noch 17 Prozent der Bewohnerschaft von vor 1993. Dafür zogen die Haushaltseinkommen der rund 7000 Haushalte in diesem Gebiet 2008 den Werten des als fein geltenden Steglitz-Zehlendorf gleich.

Als nächsten erreichte der Modernisierungsschub Friedrichshain-Kreuzberg, den nebenan gelegenen früheren Unruhebezirk. Bewohner eines Miethauses in der Nähe des Ostkreuzes wurden 2014 mit dem Eigentümer über den Kaufpreis von 3,3 Millionen Euro nicht handelseinig, weil dieser dann grundsätzlich nicht verkaufen wollte. Bei einer erneuten Anfrage der Bewohner 2019 wollte er immer noch nicht verkaufen, ging aber von einer Verhandlungsbasis von 6,6 Millionen aus – ohne dass irgend ein Maurerkellenschlag das Gebäude zwischenzeitlich aufgewertet hätte.

Statistiken beweisen nun das Bauchgefühl der auf breiter Front gestiegenen Mieten.

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