Das wird kein leichter Gang für die britische Monarchie, wenn die Briten 2019 die EU hinter sich lassen, um alleine ihr Glück in der Welt der Wirtschaft und es Handels zu finden. Es zeichnet sich bereits heute ab, dass der Brexit keine gute Entscheidung sein wird. Auch für die Exportländer nicht, die bis dato die Angelsachsen beliefern. Keiner weiß, wie es dann weitergeht und welche Auswirkungen der Ausstieg für die europäische Wirtschaft haben wird. Den Engländern jedenfalls wird diese Entscheidung noch lange wie ein schwerer Stein im Magen liegen.
Noch läuft es gut, aber die Zulieferkette macht Matthias Meyer Sorgen. Der Manager verantwortet das Großbritannien-Geschäft des Werkzeugmaschinenherstellers Heller aus Nürtingen, in seinem Werk in Redditch bei Birmingham macht Heller UK die Endmontage für CNC-Maschinen. Das Problem: „60 Prozent der Materialien, die wir hier verbauen, stammen aus der EU“, sagt Meyer. Der Materialfluss der Bauteile und Rohstoffe ist genau getaktet: immer so viel, dass genug da ist — aber nie zu viel, damit die Lagerkosten nicht aus den Fugen geraten. Damit das Kalkül aufgeht, müssen die Lieferungen pünktlich und zuverlässig kommen. Bislang funktioniert das bestens. Aber nun kommt der Brexit, und wie Tausende andere Unternehmen fragt sich auch der deutsche Mittelständler Heller, wie es danach eigentlich weitergeht. Was am 29. März 2019 passieren wird, dem Tag, an dem das Vereinigte Königreich die EU verlässt, weiß Meyer nicht. Niemand weiß das. Kein Politiker, kein Wirtschaftsführer, kein Wissenschaftler kann vorhersagen, wie die Scheidung ablaufen wird. Klar ist nur eins: Es wird ganz schwierig, überhaupt noch eine Lösung zu finden, die verhindert, dass die Trennung gravierende Schäden hinterlässt. Denn mit jeder Woche, um die der 29. März näher rückt, wird ein Chaos-Brexit wahrscheinlicher: ein Austritt ohne ein Abkommen mit klaren Regeln, wie Großbritannien und die EU künftig miteinander umgehen werden. Nicht nur Maschinenbauer wie Heller müssen sich darum auf alle möglichen Szenarien einstellen; von einer wie auch immer gearteten Last-Minute-Einigung bis zur wilden, ungeregelten Scheidung. Man kann sich nur in etwa vorstellen wie Unternehmen und Branchen versuchen, sich auf diesen Tag X vorzubereiten.
SCHIFFFAHRT & LOGISTIK
Keine Branche wird der Brexit so treffen wie den Transportsektor. Denn wenn Großbritannien den Binnenmarkt und die Zollunion verlässt, sind Grenzkontrollen im großen Stil kaum vermeidbar. Dover, dem Nadelöhr der Warenströme zwischen der Insel und Kontinentaleuropa, droht dann der Verkehrsinfarkt. 11000 Laster fahren hier an einem durchschnittlichen Tag in den Ärmelkanaltunnel nach Frankreich. „Wenn die Zollfreigabe zwei Minuten pro Lkw dauert, würde der Rückstau auf der Autobahn 17 Meilen lang“, warnt der langjährige Hafenchef Tim Waggott, das wären 27 Kilometer. Und zwei Minuten wären beeindruckend schnell; sechs bis zehn Minuten gelten als realistischer.
Andere englische Häfen wie Hull oder Immingham investieren bereits zweistellige Millionenbeträge in den Ausbau. Sie setzen darauf, dass Transporteure dem befürchteten Dauerchaos am Ärmelkanal ausweichen und England per Fähre weiter nördlich ansteuern.
Auch in Kontinentaleuropa richten sich die Seehäfen auf einen chaotischen Brexit ein. Allen voran Rotterdam. Mehr als 10 000 Schiffe pro Jahr legen hier nach Großbritannien ab oder kommen von dort an. 900 zusätzliche Beamte wird der niederländische Zoll künftig brauchen, im November will die Hafenleitung Brexit-Kontrollen simulieren. Großreedereien planen bereits neue direkte Fährrouten nach Irland, um Großbritannien zu umgehen: etwa Dublin—Rotterdam, Dublin—Zeebrugge oder Cork-Santander. Irish Ferries will die Kapazität auf der Strecke Dublin—Cherbourg mehr als verzehnfachen.
MASCHINENBAU
Auch bei Matthias Meyer kreisen viele Gedanken um eine Stadt: Dover. Fast die gesamten Auslandslieferungen für Heller kommen per Lkw über diese Stadt. Neben alternativen Routen wird Heller zusätzliche Lager vorbereiten und Hallen und Flächen anmieten oder gleich selbst aufbauen. Das alles wird die Produktion verteuern. Aber es ist immer noch besser, als die Produktion in UK plötzlich ganz stoppen zu müssen. Wie Heller geht es vielen Maschinenbauern. „Besonders ratlos fühlen sich kleinere und mittlere Unternehmen“, sagt Holger Kunze, Leiter des Europabüros des Verbands Deutscher Maschinen und Anlagenbau (VDMA). „Anders als die großen Konzerne können sie keine Stabsabteilungen für den Brexit aufbauen. Ihnen fehlen oft wichtige Informationen, etwa welche Vorprodukte oder Komponenten davon aus Großbritannien kommen. Und wenn nur ein Vorprodukt ausfällt, kann die ganze Lieferkette in Gefahr geraten.“ So horten viele Firmen Zulieferteile.
AIRLINES
Ryanair baut vor, mit einer Brexit-KlauseI auf seinen Tickets für alle Großbritannien-Flüge ab dem 29. März 2019. Wenn das „regulatorische Umfeld“ Flüge unmöglich macht, will Ryanair die Tickets für ungültig erklären und den Kunden ihr Geld erstatten. Dass der Ernstfall wirklich eintritt, ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Bislang gestattet das „Open Skies Agreement“ den Airlines, innerhalb der EU beliebig hin und her zu fliegen, sofern sie die entsprechenden Start- und Landerechte haben. Nach dem Brexit müsste Großbritannien entweder ein neues Abkommen mit der EU und auch den USA aushandeln — oder im alten bleiben. Für welche Option sich Großbritannien entscheidet, ist unklar. Zudem wird durch den Brexit der einheitliche europäische Luftverkehrsmarkt (vergleichbar mit dem EU-Binnenmarkt) aufgebrochen. Diesen verwaltet die EU-Agentur EASA. Nach dem Austritt müsste eine britische Agentur alle Aufgaben der EASA wie die Luftfahrtaufsicht, den Abschluss internationaler Abkommen sowie die Verwaltung von Verkehrsrechten übernehmen und auch international überall anerkannt werden. Ob das alles pünktlich klappt, ist ungewiss. Wie aus kürzlich veröffentlichten Dokumenten hervorgeht, warnt die britische Regierung bereits vor „massiven Störungen im Luftverkehr“. Ryanairs Konkurrent Easyjet hat kurz nach dem Brexit-Referendum beschlossen, in Österreich ein neues Tochterunternehmen zu gründen: Easyjet Europe. So kann Easyjet weiter nach Belieben innerhalb der EU hin und her fliegen. Etwa 100 Flieger, ein gutes Drittel der Flotte, sind jetzt in Wien registriert.
FLUGZEUGBAUER
Airbus bezeichnet sich nicht nur als europäisches Gemeinschaftsunternehmen. Es ist wirklich eines. In vier EU-Staaten — Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien – hat der Flugzeughersteller große Montagefabriken, und keine kommt ohne die andere aus. So werden die Tragflächen für jeden Airbus in den beiden britischen Werken gebaut. Der Brexit bringt die sorgsam ausgetüftelten Lieferketten in Gefahr. Schon Ende Juli verschickte der Konzern eine Warnung an seine Zulieferer — und forderte sie auf „sicherzustellen, dass Ihr Unternehmen und Ihre Lieferketten vorbereitet sind, damit die Lieferungen an Airbus effektiv bleiben“. Unter anderem empfiehlt Airbus in dem dreiseitigen Memorandum, Puffer aufzubauen und alternative Transportwege auszuloten. Airbus selbst, mit rund 14000 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber der britischen Industrie, habe entschieden, Vorräte für einen Monat anzulegen. Wie es heißt, wird dies den Konzern einen mittleren dreistelligen Euro-Millionenbetrag kosten. Zusätzlicher Ärger droht Airbus und seinen Zulieferern bei einem ungeregelten Brexit. Dann wird das Abkommen zwischen der britischen Luftsicherheitsbehörde und ihrem EU-Pendant ungültig. Es regelt, dass beide Behörden gegenseitig Sicherheitszertifikate anerkennen. Nach einem Brexit müssen alle britischen Hersteller von rund 10.000 Teilen ihre Prüfprozesse de facto unter EU-Recht stellen. Wenn der Hersteller eines Teils nicht zertifiziert ist, dann darf es auch nicht mehr verbaut werden — das gefährdet wiederum die gesamte Lieferkette.
AUTOMOBIL
„Wir müssen uns jetzt auf das Worst-Case-Szenario vorbereiten“, erklärt eine Sprecherin des BMW-Konzerns. Kein deutscher Autohersteller ist so eng mit Großbritannien verflochten wie der Münchner Autobauer. BMW hat vier Produktionsstandorte in Großbritannien: je ein Motorenwerk und ein Presswerk für Fahrzeugteile. Sowie vor allem die Mini- und Rolls Royce-Montagefabriken. 220.000 Autos produziert BMW pro Jahr auf der Insel, knapp die Hälfte davon geht in die EU. 24 000 Menschen arbeiten hier, mehr als ein Fünftel der gesamten Konzernbelegschaft. Aber gleich nach dem Brexit wird BMW seine Mini-Produktion im Werk Oxford für etwa einen Monat unterbrechen. Aus Angst vor Lieferengpässen. Zusätzlich baut BMW auf beiden Seiten des Ärmelkanals Lagerhallen und Parkplätze auf. Die britischen Autobauer sind noch nervöser. Bei einem ungeordneten Brexit stünden „Zehntausende Jobs“ auf dem Spiel, sagt Ralf Speth, Chef des größten heimischen Herstellers Jaguar Land Rover: „Es ist grauenerregend, löscht unsere Gewinne aus, zerstört Investitionen in Nullemissions-Technologien.“ Er wisse nicht mal, ob zum Austrittsdatum irgendeines der Werke in Großbritannien arbeiten könne. Die drohenden Kosten für den Konzern lägen bei gut 1,2 Mrd. Pfund pro Jahr. Der Sportwagenhersteller McLaren hortet bereits Bauteile — und bemüht sich um separate EU-Zulassungen für seine Modelle.
PHARMA
Was geschieht, wenn kranke Menschen von einem Tag auf den anderen ihr Medikament nicht mehr erhalten? 45 Millionen Arzneimittelpackungen pro Jahr liefert Großbritannien laut dem europäischen Pharmaverband EFPIA in die EU, 37 Millionen importieren die Briten vom Kontinent. Und niemand kann garantieren, dass es nach dem 29. März ungehindert so weitergeht. Denn kaum eine Branche ist in Europa so stark reguliert wie diese: von der Forschung und Entwicklung über die Zulassung bis zum Vertrieb. Bisher gelten Zulassungen in Großbritannien auch für den Rest der EU. Bei einem harten Brexit wäre das Geschichte. Viele britische Pharmakonzerne beantragen EU-Zulassungen. Das ist teuer. Der Arzneimittelhersteller GlaxoSmithKline beziffert die Kosten für die Brexit-Vorbereitungen auf rund 70 Mio. Pfund. Auch die deutschen Konzerne bauen vor. „Die Sicherung der Medikamentenversorgung ist ein großes Thema uns“, sagt ein Sprecher von Bayer. „Wir bauen Lager auf: vor allem in Großbritannien, damit es keine Engpässe rund um das kritische Datum 29. März gibt.“ Bei Aspirin ist das nicht so schwierig, wohl aber bei Medikamenten mit begrenzter Haltbarkeit wie etwa Radiopharmaka.
CHEMIE
Die deutschen Chemieunternehmen haben mindestens 40 Tochterfirmen im Vereinigten Königreich, deren rund 8 000 Mitarbeiter fast 4 Mrd. Euro Umsatz erwirtschaften. „Durch einen unkontrollierten Brexit dürfen alle chemischen Stoffe, die im Vereinigten Königreich für den Vertrieb in der EU registriert wurden, unmittelbar nicht mehr ohne Weiteres in der EU verkauft werden“, warnt Utz Tillmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie. „Das hätte gravierende Auswirkungen auf die Lieferketten.“ Und zwar nicht nur auf die Lieferketten der Branche selbst. Auch Auto-, Maschinen-, Flugzeug- oder Lebensmittelhersteller, die einen bestimmten Stoff brauchen, könnten plötzlich auf dem Trockenen sitzen.
LANDWIRTSCHAFT & ERNÄHRUNG
Nächsten Sommer soll der erste Obstpflückroboter einsetzbar sein. Gerade rechtzeitig zur ersten Post-Brexit-Ernte. So versprechen es die Entwickler des Prototyps, Robotik-Experten der University of Essex. Ihr Frucht-Android soll zunächst Erdbeeren abzupfen und einsammeln. Maschinelle Erntehelfer könnten viele Farmer in Großbritannien bestens gebrauchen. Denn nur 0,6 Prozent der menschlichen Pflücker sind laut dem TV-Sender Sky News Briten. Der Rest sind Ausländer. Und bereits in den ersten beiden Sommern nach dem Brexit-Referendum kamen weniger Saisonarbeiter nach Großbritannien — wegen des Pfund-Verfalls und des Gefühls, nicht mehr willkommen zu sein. Laut einer Untersuchung des britischen Bauernverbands verrotteten den Landwirten vielerorts Obst und Gemüse auf ihren Plantagen und Äckern. Nach dem EU-Ausstieg und dem Ende der Personenfreizügigkeit wird sieh die Personallage wohl kaum bessern. Und: Der Obstpflückroboter ist noch nicht serienreif. In der Lebensmittelindustrie beginnen große Unternehmen wie der Schokoladenhersteller Cadbury bereits, Rohstoffe zu horten. Die Vorräte seien Teil eines Notfallplans, erklärt der Chef der Konzernmutter Mondelez, Hubert Weber. Großbritannien sei „nicht autark in Bezug auf Lebensmittelzutaten“.
FINANZBRANCHE
Der Brexodus hält sich bislang in Grenzen. 1600 Stellen haben Banken und Versicherungen bis Ende Juli 2018 wegen des Brexit aus London verlagert, berichtet die City of London. Peanuts verglichen mit den fast 400 000 Menschen, die in der britischen Hauptstadt im Finanzsektor arbeiten. Nach wie vor halten sich die Finanzinstitute zurück, ihre Truppen umzuziehen — eben weil es keine Entscheidung gibt. „Die Brexit-Pläne liegen in den Schubladen. Aber sie werden nicht ausgeführt, weil sich niemand falsch bewegen will“, sagt ein Insider. Die Banken taktieren mit Verweis auf den offenen Ausgang der Verhandlungen —und können damit rechnen, dass die Aufseher das erst mal akzeptieren. Die Regulierer wissen ja auch nicht, was kommt.
Für Aufsehen hat zwar die Entscheidung der Schweizer Großbank UBS gesorgt, ihr EU-Geschäft in Frankfurt zu bündeln. UBS-Chef Sergio Ermotti sagt: „Das Finanzsystem geht davon aus, dass es keine Einigung zwischen Großbritannien und der EU geben wird.“ Allerdings berichten Insider, dass die UBS nur etwa 250 Jobs von London an den Mainverlagern wird. Noch vor ein paar Monaten war von 1500 Stellen die Rede.
Die Deutsche Bank erwägt laut „Financial Times“, Vermögenswerte in Höhe von bis zu 450 Mrd. Euro von London nach Frankfurt zu transferieren. Dies könne jedoch drei bis fünf Jahre dauern. Und eine endgültige Entscheidung ist auch noch nicht getroffen worden. Die Banker warten ab, sie können es sich leisten. Denn Milliardensummen lassen sich im Fall der Fälle schneller über Grenzen hinweg verlagern als Güter oder Menschen.