Wie zu Jahresbeginn erhofft, ist das Jahr 2024 nach den Turbulenzen der beiden Vorjahre bislang von geringer Volatilität an den Aktienmärkten und sinkender Volatilität an den Rentenmärkten geprägt.
Eine Marktruhe, hinter der sich im Zweifelsfall eine übermäßige Zurückhaltung der Anleger verbergen könnte, die aber bei nüchterner Analyse der Fundamentaldaten die typische Situation in der Halbzeit des Wirtschaftszyklus vorwegnimmt. Das heißt, dass die Wirtschaft und die Märkte, nachdem sie die Ängste der letzten Krise abgeschüttelt haben, ihre übliche Reisegeschwindigkeit erreichen.
In Erinnerung an den erlebten Inflationsschock gibt es bei den Marktvariablen immer noch eine Anomalie, und zwar bei den kurzfristigen Zinssätzen, die jetzt deutlich über der Inflation liegen.
Ebenso schnell wie die Inflation angestiegen war, ging sie auch wieder zurück. Aus diesem Grunde sind die Zentralbanken bei der Rücknahme der geldpolitischen Straffung sehr vorsichtig. Bei einer Inflationsrate von 2,5 % in der ^Eurozone und 3,5 % in den USA dürften die Zinssätze der EZB und der Fed, die bei 4 % bzw. 5,5 % liegen, jedoch nicht lange auf diesem Niveau bleiben.
Langfristige Zinssätze, die unter den kurzfristigen Zinssätzen liegen (invertierte Kurven), spiegeln nicht die Prognosen für eine Rezession wider, die immer weniger durch Makrodaten gestützt werden, sondern vielmehr die Vorläufigkeit des derzeitigen Niveaus der kurzfristigen Zinssätze und diskontieren ihren künftigen Rückgang.
Überdies sind die langfristigen Zinssätze auf einem Niveau, das mit der derzeitigen Phase des Wirtschaftszyklus konform geht.
Mit dem Zinsanstieg 2022/23 haben die Anleihezinsen eine Bewertungsanomalie korrigiert, die seit der ersten Hälfte der 2010er Jahre anhielt. Beim derzeitigen Niveau der Staatsanleihen ist es möglich, das nominale Wachstum der jeweiligen
Volkswirtschaften abzufangen, wie dies vor der großen Finanzkrise von 2008 der Fall war, die als Lösung eine lange Phase von Niedrigzinsen verlangte.
Für Rückschlüsse auf die kurzfristige Entwicklung reicht die Beobachtung der Bewertungen nicht aus. Bleibt das wirtschaftliche Umfeld weiterhin überhitzt, sind weitere Phasen nachteiliger Volatilität nicht auszuschließen. Kapitalgewinne über den Kuponfluss hinaus werden erst dann berücksichtigt, wenn sich die Wirtschaft am Ende des Zyklus nähert.
Aus Bewertungssicht weisen die Anleihemärkte jedoch keine Anomalien mehr auf.
Anleihen mit einem höheren Emittentenrisiko weisen ebenfalls Bewertungen auf, die mit dem derzeitigen Wirtschaftszyklus konform gehen.
Die Spreads von Unternehmensanleihen, die sich im Jahr 2022 zeitgleich mit der intensivsten Phase der Zinserhöhungen der Zentralbanken ausgeweitet hatten, haben sich inzwischen wieder eingeengt und bewegen sich in der Nähe typischer Zyklustiefs.
Dies entspricht einem Wirtschaftszyklus, der endlich eine Stabilisierung des Wachstums-Inflations- Verhältnisses und eine Verlängerung der Durationserwartungen verzeichnet. In dieser Zwischenphase des Zyklus stellen Spread-Anleihen eine attraktive zusätzliche Carry-Möglichkeit gegenüber Staatsanleihen mit hoher Bonität dar, auch wenn der Spielraum für weitere Spread-Einbrüche geringer ist.
Eine plötzliche Ausweitung der Spreads hingegen erscheint wenig wahrscheinlich. Ausgenommen ist eine deutliche konjunkturelle Abschwächung; diese Annahme wird durch die aktuellen Daten nicht gestützt und ist in absehbarer Zeit unwahrscheinlich, insbesondere wenn die Zentralbanken einen Zinssenkungszyklus einläuten.
Die Erholung an den Aktienmärkten in den letzten anderthalb Jahren war beträchtlich. Dennoch können die Bewertungen, wenngleich sie weniger attraktiv sind als Ende 2022, nicht als außerordentlich bezeichnet werden.
Insgesamt betrachtet sind die US-Marktmultiplikatoren infolge der Bewertungen des Technologiesektors eher überzogen. Die Bewertungen von Nicht-US-Indizes und von anderen US-Sektoren als dem Technologiesektor entsprechen jedoch den historischen Durchschnittswerten und sind daher nicht allzu hoch.
Aber selbst, wenn man den Technologiesektor in die Analyse aufnimmt, sind die absoluten Bewertungen (Multiplikatoren) weniger angespannt, sofern man den Gewinnschätzungen der Unternehmen für 2025 und 2026 Glauben schenkt.
Letztlich ist die Bewertung der Aktienmärkte als zyklisch korrekt und mittelfristig attraktiv anzusehen. Dies gilt auch im Vergleich zum Anleihemarkt.
Zwar sind die Anleihezinsen im Vergleich zu den Niveaus vor und nach der Pandemie gestiegen und stellen nun eine Chance dar, die im vorangegangenen Zyklus faktisch weggefallen war. Allerdings sind während des Zinssanstiegs auch die Renditen auf Unternehmensgewinne (Aktienerträge) gleichzeitig mit den Zinsen gestiegen, sodass die Risikoprämie für Aktien weiterhin hoch ist.
Die Aktienmärkte sind deshalb nicht mehr mit einem Abschlag bewertet. Sie sind aber auch nicht so überzogen, wie man nach der Erholung der letzten anderthalb Jahre annehmen könnte. Die Fortsetzung der Aufwärtsbewegung kann vor allem durch die Weiterführung des Wirtschaftszyklus und das Gewinnwachstum gestützt werden.
Angesichts der aktuellen Bewertungen ließe sich der Rückschluss ziehen, dass die Märkte die Gewinne des Jahres 2024, also ein halbes Jahr im Voraus, bereits vollständig diskontiert haben. Auf dem Weg zur Einpreisung der Gewinne des Jahres 2025/26 könnten sie jedoch weiter steigen.
Auch dabei handelt es sich um eine für die Mitte des Wirtschaftszyklus charakteristische Situation, bei der wir ebenfalls davon ausgehen, dass sie in nächster Zeit fortdauern wird.