Erst vor kurzem betitelte US-Präsident Joe Biden Putin als Kriegsverbrecher. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe befindet sich bereits in einer Ermittlung. Wie könnte der Autokrat angeklagt werden und wie läuft das Verfahren?
Bereits sechs Stunden nachdem der russische Überfall auf die Ukraine stattfand, beging Russland ein Kriegsverbrechen. Um ca. 10:30 am 24. Februar schlug eine Rakete in der ostukrainischen Stadt Wuhledar ein – vier Zivilisten kamen ums Leben. Sie explodierte in der Nähe eines Krankenhauses.
Nach Investigation der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurde ein Raketentyp eingesetzt, der dafür bekannt ist, oft sein Ziel zu verfehlen. So ist es ein Kriegsverbrechen zivile Ziele mit ungenauen Waffen anzugreifen. Der Angriff auf Wuhledar blieb nicht der einzige: Seit den ersten Tagen im Krieg attackierte Russland bereits Öl- und Gaspipelines, Atom- und Heizkraftwerke und bombardierte Schulen und Wohnhäuser. Weil es keine Einzelfälle sind besteht der Verdacht auf weitere Kriegsverbrechen. Im Gespräch mit der WELT und der Bundesanwaltschaft Karlsruhe wurden die wichtigsten Fragen geklärt.
Warum ermittelt die Bundesanwaltschaft?
Seit 2002 wurde das Völkerstrafgesetzbuch etabliert – so gilt das sogenannte Weltrechtsprinzip. Das heißt Deutschland kann aktiv werden, wenn irgendwo auf der Welt ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschieht – und das unabhängig von der Nationalität der Täter und der Opfer. Die Intention des Prinzips: Kriegsverbrecher sollten nirgends straffrei sein.
„Wenn es Anhaltpunkte gibt, dass ein solches Verbrechen begangen wurde, wird der Generalbundesanwalt Ermittlungen aufnehmen“, so der Professor für Internationales Straf- und Völkerrecht der Universität Erlangen-Nürnberg, Christoph Safferling. Die Anhaltspunkte können entweder aus eigener Hand der Behörde oder von eingegangenen Anzeigen kommen.
Auf WELT-Anfrage teilte die Bundesanwaltschaft mit, dass hier ersteres der Fall war: „die Einleitung der Ermittlung erfolgte von Amts wegen und nicht etwa auf Grundlage der zahlreichen eingegangenen Strafanzeigen“. Eine solche Strafanzeige haben unter anderem Sabine Leutheusser-Scharrenberger (FDP) und ehemaliger Bundesjustizminister Gerhart Baum (FDP) gegen Wladimir Putin gestellt.
Wie verlaufen die Ermittlungen?
Offiziell begannen die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft Karlsruhe erst am 8. März. Das Verfahren, das zum Einsatz kommt, ist das Strukturermittlungsverfahren. Dieses zielt darauf ab Ereignisse vor Ort zu dokumentieren und Information zu sammeln. So können möglichst umfangreiche Beweise über die Kriegsverbrechen gesichert werden. Nun beginnt die Suche nach einem Verantwortlichen. Zunächst richtet sich das Verfahren gegen Unbekannt, weil es noch keine bestimmten Beschuldigten gebe. Der potenzielle Kreis von Schuldigen könnte aber groß sein: „vom einfachen Soldaten über die mittlere Kommandoebene der Armee bis hin zur Führungsriege im Kreml muss jeder fürchten, vor einem deutschen Gericht zu landen, sollte er sich in Deutschland aufhalten“, sagte Safferling im Gespräch mit WELT. In der Bundesanwaltschaft seien derzeit 14 Staatsanwälte bei der Verfolgung von Völkerrechtsverstößen tätig. Zusätzlich wurde das Bundeskriminalamt mit der Hilfe bei der Auswertung von Beweisen hinzugezogen.
Von wo kommen die Beweise?
In erster Linie stammt ein Großteil der Beweise aus Sekundärquellen. Das heißt, alles was Ermittler im Internet an Videos, Fotos und Medienberichten finden, könnten erste Anhaltspunkte für die Strafverfolgung sein. Als besonders wichtig stellten sich aber Aussagen von ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland heraus. Doch auch Erkenntnisse von vor Ort fließen in die Ermittlung ein. „Es ist davon auszugehen, dass die Ermittlung auch nachrichtendienstliche Quellen, etwa Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes, mit einfließen lässt“, so Christoph Safferling.
Kann Putin am Ende angeklagt werden?
Zwar könnte Putin vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt werden, doch in Deutschland genießt er vor Gericht Immunität. Eine Anklage Putins sei aber auch noch nicht das Ziel der Karlsruhe Staatsanwälte. „Man sammelt jetzt beweise für den Fall, dass Putin vielleicht irgendwann doch sein Amt verliert und man ihn dann belangen kann“, so Kai Ambos von der Universität Göttingen. Damit er letztendlich doch angeklagt werden kann, müsse er sich in Deutschland aufhalten. Zwecks medizinischer Behandlung ist dies in Anbetracht von ehemaligen Staatschefs aber nicht unwahrscheinlich.