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Roland Tichy muss gehen: Ludwig-Erhard-Stiftung zieht Konsequenzen

Erst fehlten die Laudatoren, Preisträger lehnten ihre Preise ab, jetzt ist der Ruf der Ludwig-Erhard-Stiftung wohl erstmal dahin: der rechtspopulistische Vorstand Roland Tichy tritt nach einem Sexismus-Beitrag von seinem Posten zurück. Viele Politiker zeigen sich erleichtert. (Die altehrwürdige Ludwig-Erhard-Stiftung e.V. wurde durch Altbundeskanzler Ludwig Erhard in Bonn Im Jahr 1967 als gemeinnütziger Verein gegründet, um durch Publikationen und Veranstaltungen „der Fortentwicklung und Stärkung der Sozialen Marktwirtschaft“ zu dienen.)

Roland Tichy hat auf seiner rechtspopulistischen Webseite einen Beitrag von Stephan Paetow veröffentlicht, der mit dem Satz über die Berliner SPD-Staatssekretärin Sawsan Chebli provozierte: „Was spricht für Sawsan? Befreundete Journalistinnen haben bislang nur den G-Punkt als Pluspunkt feststellen können.“ Leider sind solche unwürdigen Verbalauswüchse keine Seltenheit auf der Webseite von Tichy. Und trotzdem könnte diese Debatte wieder die Frage aus dem rechten Lager entfachen mit: „Was darf man in Deutschland noch sagen?“ Es werden auf dem Meinungsportal gängige Angstnarrative der Neurechten bedient wie Deutschland nehme zu viele Flüchtlinge auf, der Klimawandel existiert gar nicht oder Corona-Einschränkungen sind nicht akzeptierbar.

Wer ist Roland Tichy? Kaum zu glauben, doch im Piper Verlag ist ein Buch von ihm erschienen, was den Titel „Ausländer rein“ trägt. Es wurde 1990 veröffentlicht und beschreibt das Verhältnis von Medien und Politik zur Ausländerfeindlichkeit. Der 64-jährige war 7 Jahre lang bis 2014 Chefredakteur der Wirtschaftswoche und war dem Neoliberalismus nahe. Seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 bewegte sich der Publizist immer mehr nach rechts.

Seit 2014 war Tichy Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung und gleichzeitig Betreiber des Meinungsportals „Tichys Einblick“. „Tichys Einblick“ hat nach eigenen Angaben über 7,5 Millionen Klicks von ca. 650.000 verschiedenen Nutzern pro Monat auf der eigenen Website. Es gibt auch eine Druckversion, welche monatlich mit Ausgaben von 100 Seiten veröffentlicht wird. Die Auflage lag zu Beginn im Oktober bei 70.000 Stück. So ergänzt diese Publikation andere rechtsgerichtete Medien wie Junge FreiheitCompact und Politically Incorrect.

Zum Fall „Chebli“ wird in einem Interview auf der Webseite „Tichys Einblick“ mit Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki folgende Frage gestellt: „Eine anzügliche oder je nach Standpunkt peinliche Bemerkung im Satirischen Monatsrückblick eines Autors hat einen beispiellosen Shitstorm ausgelöst, der sich aber gegen den Herausgeber des Magazins richtete. Linke Satire darf offensichtlich alles, bürgerliche Satire wird sofort bekämpft. Gibt es zweierlei Maß in Politik und Medien?“

Deutschlandweit geriet der fragwürdige Text aber erst in die Schlagzeilen, als die Digitalisierungsministerin Dorothee Bär ihre Mitgliedschaft in der Ludwig-Erhard-Stiftung niederlegte. Dies tat sie, um gegen Tichy als Vorsitzender der Stiftung zu protestieren und um sich gegen seinen Sexismus zu positionieren. „Sofern die Stiftung einen Vorsitzenden hat, unter dessen Federführung solche Texte veröffentlicht werden, kann und will ich sie nicht weiter unterstützen. Es zeigt eine gesellschaftspolitische Geisteshaltung, die ich nicht akzeptiere. Grund für diese Entscheidung ist eine Publikation in dem Magazin Tichys Einblick, die frauenverachtende und in höchstem Ausmaß sexistische Äußerungen gegenüber meiner Kollegin Sawsan Chebli enthält“, sagte Bär gegenüber dem Handelsblatt. Viele Menschen reagierten mit Begeisterung auf die Solidarität Bärs zu Chebli (SPD) trotz unterschiedlichster Parteizugehörigkeit.

Chebli schrieb dazu auf Twitter: „Ein besonders erbärmliches, aber leider alltägliches Beispiel von Sexismus gegen Frauen in der Politik.“ Chebli warb dafür, sich öfter gegen Sexismus einzusetzen und lobte ihre Politiker-Kollegin Bär: „Frauenverachtung und Sexismus bei Tichy bleiben nicht ohne Konsequenzen. Und das ist gut so!“, schrieb die SPD-Politikerin.

Auch Carsten Linnemann (CDU) und Jens Spahn (CDU) lassen ihre Mitgliedschaft ruhen. CDU-Präsidiumsmitglied Spahn und CDU/CSU-Fraktionsvize Linnemann sagten: „Die Ludwig-Erhard-Stiftung ist eine Institution mit langer Tradition und dem Erbe des Namensgebers verpflichtet. Leider ist seit geraumer Zeit eine Debattenkultur von führenden Vertretern der Stiftung festzustellen, die dieser Verantwortung nicht gerecht wird. Das schadet dem Ansehen Ludwig Erhards.“

Auch das Stiftungs-Mitglied Jens Weidmann prangerte an, dass es „wiederholt zu beleidigenden und verletzenden Äußerungen gekommen sei, die sich mit den Idealen der Stiftung nicht vertragen und eine negative öffentliche Berichterstattung über die Stiftung ausgelöst haben. Als Mitglied schätze ich die Stiftung, weil sie der Fortentwicklung marktwirtschaftlichen und freiheitlich-demokratischen Denkens eine Plattform bietet. Ein Ziel, das gerade in der heutigen Zeit in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen ist. Dazu gehört aus meiner Sicht ein Debattenklima gegenseitigen Respekts, nicht nur innerhalb der Stiftung, sondern auch darüber hinaus.“

Tichy war in den vergangenen Jahren oft ein Problem für die Stiftung. Eigentlich steht die Stiftung für freiheitliche Grundsätze in Wirtschaft und Gesellschaft. Doch es wurde die Kritik laut, dass er seine Rolle als Vorstand der Ludwig-Erhard-Stiftung als „Reputationsmaschine“ für seine Webseite nutzte.

Nun wurde der Druck für Tichy zu groß und er erklärte einen Rücktritt für Ende Oktober. Er werde sich nicht wieder zur Wahl stellen. So gab es viele Mitglieder, die ihren Austritt aus der Stiftung erklärt hätten und zudem gab es zeitgleich mit Tichys radikaleren Ansichten auch Probleme, Laudatoren zu finden. Zudem gab es vermehrt Preisträger, die die Auszeichnung der Ludwig-Erhard-Stiftung ablehnten. Es wird gesagt, dass auch Friedrich Merz seine Auszeichnung um seine Verdienste um die Soziale Marktwirtschaft wegen Tichy ablehnte. Friedrich Merz twitterte nach dem Bekanntwerden von Tichy Rücktritt: „Die einzig richtige Entscheidung.“ Die Mitglieder der Stiftung kommen vorrangig aus FDP und Union. So gehören die Ex-FDP-Generalsekrätin Linda Teuteberg und der Euroskeptiker Frank Schäffler (FDP) dazu, Renate Köcher von Allensbach und der Wirtschaftswissenschaftler Lars P. Feld.

So erinnern die Zeilen des Stiftungsgründers und Altkanzler Ludwig Erhard im Jahr 1967 an den Zweck seiner Stiftung: „In einer Zeit, in der ein verwerflicher Opportunismus und ein verderblicher Konformismus sich immer weiter ausbreiten, gilt es, die Werte verantwortlicher Gesinnung und menschlicher Gesittung zu stärken und neu zu beleben.“

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