Mal ehrlich, in den vergangenen Monaten brauchte es nicht viel, um Beklemmungen und Ängste auszulösen. Manchmal reichte es schon, wenn der Nachbar in der Bahn einen Niesanfall hatte. Von wirtschaftlichen Problemen oder Beziehungsstress in der Corona-Quarantäne mal ganz abgesehen. ,,Im Rahmen der Pandemie erlebten Menschen plötzlich viel mehr angstauslösende Situationen als sonst“, sagt der Berliner Psychiater Bastian Willenborg. Sowohl diffuse als auch konkretere Ängste haben in den vergangenen Monaten deshalb zugenommen.“ Der Arzt leitet die Oberberg Fachklinik in Wendisch-Rietz sowie die Oberberg Tagesklinik Kurfürstendamm und erlebte an beiden Einrichtungen einen Anstieg von Fällen.
Tatsächlich bilden Angststörungen (noch vor Depressionen) das häufigste psychische Problem, so die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Rund 15 Prozent der Erwachsenen kämpfen mindestens einmal in ihrem Leben damit. Auf Platz eins: spezifische Phobien, also Ängste vor Spinnen, vor Höhe oder dem Fliegen. Wer darunter leidet, fürchtet sich vor Dingen, auf die andere Leute keinen Gedanken verschwenden würden. ,,Die inneren Blockaden haben das Leben der Betroffenen im Griff“, erklärt Arno Deister. Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin im Klinikum ltzehoe. Frauen sind doppelt so oft betroffen wie Männer, Kreative trifft es eher als fantasiearme Leute. Zum Glück ist niemand den Emotionen wehrlos ausgeliefert: Es gibt aktuell fünf neue Wege aus der Angstfalle.
Microdosing Psychodrogen wie LSD oder Psilocybin, das aus halluzinogenen Pilzen gewonnen wird, nehmen Ängste – allerdings zu einem hohen Preis. Sie verzerren die Wahrnehmung von Raum und Zeit, können Psychosen auslösen und sind zudem (noch) illegal. Forscher der Abteilung für Klinische Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsspital Basel untersuchen derzeit, ob sich die Substanzen in kleinster Dosierung (Microdosing) und mit professioneller Unterstützung bei der Behandlung von Depressionen und Angstkrankheiten einsetzen lassen. ,,Die Mittel könnten wie ein Verstärker für die Therapie wirken“, sagt Psychiater Willenborg. Zum Beispiel falle es den Patienten nach der Einnahme leichter, sich zu öffnen. Erste Studienergebnisse, die mit Gesunden durchgeführt wurden, zeigten, dass man anderen mehr vertraute. Universitätsspital Basel rekrutiert aktuell Patienten mit Angsterkrankungen für eine LSD-assistierte Psychotherapie.
Virtual Reality
Gaming gegen Ängste: Bei der Behandlung von Phobien werden neuerdings 3-D-Welten, wie man sie sonst aus Computerspielen kennt, verwendet. Mithilfe von Smartphone-Apps und Virtual-ReaIity-Brillen können sich Patienten nun vom Sofa aus ihren Ängsten stellen. Sie betreten hohe Gebäude, halten Reden vor Publikum oder berühren Spinnen. Die Behandlung funktioniert wie die sogenannte Expositionstherapie, die auch in der klassischen Verhaltenstherapie angewendet wird. Allerdings hat die neue Methode zwei entscheidende Vorteile : eine niedrige Hemmschwelle, und die Wartezeit auf einen Behandlungsplatz entfällt. Die vom Hamburger Medizin-Start-up Sympatient entwickelte Therapie dauert etwa vier Wochen und wird von Therapeuten per Telefon und Video begleitet. Tatsächlich konnten Studien zeigen, dass die virtuelle Konfrontation mir Höhe oder Flugangst, oder sozialen Ängsten genauso effektiv ist wie die üblichen Konfrontationstherapien.
ACI Therapie In den vergangenen Jahren hat die Psychotherapie ihren Werkzeugkasten auf geräumt und noch besser an die Bedürfnisse der Patienten angepasst. In der Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT, wird als ganzes Wort gesprochen) konzentriert man sich auf das, was einem im Leben wichtig ist: Will man liebende Partnerin sein? Die gute Freundin? Oder vor allem Karriere machen? Man spricht zwar auch über seine Ängste und Sorgen, aber bei der ACT-Therapie geht es vor allem darum, seine Energie auf ein glückliches Leben zu fokussieren – statt wie in der klassischen Verhaltenstherapie unterdrückte Gefühle unbedingt verändern zu wollen.
Hypnose Wer Bammel vor Prüfungen hat oder nicht gern in engen Räumen ist, sollte es mal mit therapeutischer Hypnose versuchen. Dabei versetzt einen der Hypnotiseur zunächst in Trance – einen Zustand erhöhter Aufmerksamkeit in dem man alles andere um sich herum ausblendet. Das Gehirn kann nicht zwischen Fantasie und Realität unterscheiden. Es ist ein bisschen wie bei einer Festplatte: Situationen, die bislang mit negativen Emotionen verknüpft waren, werden durch positive Empfindungen überschrieben. ,,Hypnose ist die älteste westliche Form der Psychotherapie“, sagt etwa Professor David Spiegel von der Stanford Universitv School of Medicine. Und kann übrigens auch bei der Rauchentwöhnung, Schlafstörungen und Schmerzen helfen. Etwa neun von zehn Menschen gelten als empfänglich für diese Art der Behandlung, die mittlerweile auch von der Schulmedizin anerkannt ist. Eine Stunde kostet zwischen 100 und 150 Euro, drei Sitzungen genügen meistens. Adressen von qualifizierten Hypnotherapeuten übervermitteln die Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie und die Milton H. Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose.
Meditations APPs Bei weniger stark ausgeprägten Ängsten die vor allem in Stresssituationen auftreten, sind Meditations-Apps auf dem Smartphone eine prima Entspannungshilfe. Dabei wird man von einer freundlichen Stimme angeleitet. Die eigene Wahrnehmung auf den Atem oder bestimmte Körperteile zu lenken (,,Spüre jetzt, wie dein Becken von der Sitzfläche getragen wird.) Wie Studien zeigen kann so ein digitaler Coach tatsächlich helfen, Anspannung zu reduzieren und das Wohlbefinden zu erhöhen. Die wohl bekannteste Meditations-App nennt sich ,,Headspace“. ‚ Andere heißen,.Calm“, ,,Buddhify“ oder ,,7Mind“.
Wer wirklich Ängste und Panik, Ausweglosigkeit und Kontrollverlust kennengelernt hat, der weiß, wie schwierig es ist, sich aus einer bestimmten Situation zu lösen, und zur Ruhe und Gelassenheit zurückzufinden. Diese Methoden sind hilfreich, um in einem „Ausnahmezustand“ Hilfe und Unterstützung zu erlangen. Eine Panikattacke kann den Einzelnen in einen hilflosen Menschen verwandeln, deshalb sind Lösungsvorschläge und Verhaltensregeln für Extremsituationen oft der rettende Anker.