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Zukunft planen in Unternehmen

Wenn ich heute mit Kunden über ihre Zukunftsstrategien spreche, erlebe ich häufig eine Mischung aus Aufbruchstimmung, aber auch Zögerlichkeit, aus Wachsamkeit, aber auch dem Wunsch nach Bewahren des Alten. Einerseits arbeiten alle an neuen digitalen Geschäftsmodellen, Prozessen und Produkten — und waren natürlich im Silicon Valley. Andererseits sind noch viele gefangen in alten Denkstrukturen, Budgetrestriktionen und der Kurzfristigkeit des eigenen Vorstandsvertrags.

Tatsache ist: Unsere Wirtschaft befindet sich in einem massiven Umbruch, wohl dem größten Wandel seit 50 Jahren. Manche sprechen vom „zweiten Maschinenzeitalter“, andere von der „vierten industriellen Revolution“ — doch egal wie man es nennt: Viele Unternehmen werden wir im nächsten Jahrzehnt nicht mehr wiedererkennen. Oder sie werden verschwunden sein. „Wir überschätzen den Wandel der nächsten zwei Jahre“, hat Bill Gates einmal gesagt. „Aber wir unterschätzen den Wandel der kommenden zehn. Lass dich nie von Trägheit einlullen.“

Die Schlagworte sind bekannt: Alle sollen schneller, agiler, dezentraler und digitaler werden. Doch was bedeutet das konkret für Unternehmen? Ich sehe fünf Stoßrichtungen, die es Unternehmen ermöglichen, den Wandel zu überleben.

Wenn Unternehmen größer werden, steigern sie ihren Ertrag und werden — durch Skaleneffekte — profitabler. Meist aber geht der Kontakt zum Kunden verloren. Wer klein ist, ist dafür oft näher am Kunden dran – bliebt aber in seiner Nische. Diese Spielregeln haben sich geändert. Kleine Firmen sind heute in der Lage, ihre Nachteile durch Outsourcing oder über Plattformen auszugleichen. Sie können stark spezialisiert sein, aber ihre Größe mithilfe dieser Plattformen hebeln – mit Marketing über soziale Netzwerke und einem Vertrieb über Amazon.

Dagegen profitieren Giganten wie Facebook, Tencent, Tesla, Alibaba oder Amazon sowohl von ihrer Größen – sind aber auch Vorreiter beim Kundenservice. Denn neue  Technologien und Analysetools erlauben es, den Widerspruch zwischen Größe und Kundenbeziehung aufzulösen. Sie wissen, was die Kunden wollen und welche Bedürfnisse diese haben. Aber auch in traditionellen BranChen und der Industrie werden Daten genutzt, etwa für die Reparatur und Wartung von Anlagen. Die Skaleneffekte von gestern sind nicht mehr die von heute oder morgen. Längst geht es um andere Größenvorteile. Dazu zählen der Umgang mit großen Datenmengen oder Advanced Analytics.

In einer Organisation drehte sich bislang vieles darum, die Besten zu identifizieren und zu fördern — und dies in klaren, hierarchischen Strukturen. In Zukunft müssen Unternehmen deutlich stärker rund um erfolgskritische Funktionen aufgebaut sein. Was meine ich damit?

In jeder Firma gibt es Funktionen, in denen Mitarbeiter einen direkten Wert für den Kunden schaffen. Bei Ikea sind es die Produktdesigner und die Einkaufsmanager, bei American Express die Mitarbeiter im Kundenservice. Sie sind entscheidend für den Erfolg, in dem sie das Versprechen des Unternehmens an die Kunden tagtäglich einlösen. Diese erfolgskritischen Funktionen werden im Zentrum des Unternehmens der Zukunft stehen und stärker miteinander vernetzt sein. Herkömmliche Hierarchien werden unwichtiger. Das Bild von der „Leiter nach oben“ verschwindet.

Die Methode der Stunde für Projekte und ganze Organisationen ist „Scrum“. Der Begriff (übersetzt bedeutet er „Gedränge“) steht für eine Methode agiler Entwicklung.

Dabei entwickelt ein ScrumTeam Produkte oder Teilprodukte in kurzen Zyklen, sogenannten Sprints, sowie auf Basis klar definierter Prioritäten. Die neuen Produkte werden im ersten Schritt entweder einer Zwischenbewertung unterzogen  oder bereits auf den Markt gebracht. Im darauffolgenden Sprint werden weitere Ideen eingearbeitet – wenn der Markt sich verändert oder die Kunden neue Wünsche haben.

Die Scrum-Teams sind kleine, crossfunktionale Einheiten von maximal zehn Mitarbeitern aus verschiedenen Fachbereichen. Dazu zählen Entwicklung, Produktion, Einkauf oder Controlling. Diese Teams entwickeln ein Produkt autonom und treffen selbstständig alle Entscheidungen. Prominente Beispiele sind der Streamingdienst Spotify oder der Onlinehändler Zalando. Beide haben kleine Teams mit hoher Autonomie und Eigenverantwortung gebildet. Doch auch traditionelle Unternehmen setzen zunehmend auf agile, funktionsübergreifende Teams. So hat die Deutsche Bank mit ihrer Digital Factory ein Umfeld geschaffen, in dem interne Teams in einer Start-up-Atmosphäre digitale Innovationen vorantreiben.

Scrum und die Logik von selbstorganisierten, agilen Projektteams verändern Schritt für Schritt die Zusammenarbeit innerhalb eines Unternehmens sowie dessen Kultur. Der Manager als reiner Chef wird unwichtiger, Informationen gehen nicht den hierarchischen Weg, sondern direkt an den Adressaten.

Die Organisation lernt, Innovation konsequent vom Kunden her zu denken. Und die Managementaufgaben werden differenzierter: effiziente Verwaltung von Routineaufgaben hier, echtes Coaching von Mitarbeitern dort. Insgesamt wird es weniger Führungskräfte geben. Diese müssen sich im Grunde selbst abschaffen.

Das Internetzeitalter ist die Ära der Netzwerke: Sharing, Plattformen, Allianzen, Kooperationen und virtuelle Teams. Der eigene Investitions- und Managementbedarf wird reduziert. Es geht um Partnerschaften und das Managen von Ökosystemen.

Spannend dabei ist, dass diese Partner auch Wettbewerber, Kunden oder Zulieferer sein können. In den letzten Jahren waren Plattformunternehmen wie Google, Apple oder Facebook extrem erfolgreich, und dies mit vergleichsweise wenigen  Mitarbeitern und geringen Assets.

Dass aber Plattformen die gesamte Macht an sich reißen werden, ist ein eher unwahrscheinliches Szenario. Auch Outsourcingspezialisten sowie Service- und Produktanbieter werden in Zukunft erfolgreich sein. Insbesondere dann, wenn sie miteinander kooperieren.

Für das Top-Management liegt die Kunst darin zu wissen, was das Unternehmen in Eigenregie machen soll und kann. Steht das fest, können gewinnbringende Partnerschaften mit anderen Unternehmenstypen aufgebaut werden, um den Kundennutzen zu maximieren. Dies erfordert neue Kompetenzen. Denn künftig werden viele Mitarbeiter damit beschäftigt sein, diese Partner zu managen. Ein Paradoxon dabei ist, dass Firmen mit starken Unternehmenskulturen, einer klaren Mission und strengem Fokus auf ihre erfolgskritischen Funktionen oft die schlechtesten Partner sind.

Wir beobachten seit einigen Jahren einen Wandel in der Unternehmensfinanzierung: Das Denken wird langfristiger, die Perspektive der Investoren strategischer. So haben Private-Equity-Unternehmen weltweit ihren Investitionshorizont von 4,5 Jahren (2006) auf sechs Jahre (2016) deutlich erweitert.

Zudem entstehen neue Finanzierungsinstrumente. Einige davon ermöglichen Investoren, Geld für Projekte in Unternehmen bereitzustellen, die exakt auf ihre Risikoprofile abgestimmt sind. Bestes Beispiel ist die Entwicklung neuer Medikamente. Andere richten sich an nachhaltige Investoren, etwa Green Bonds. Direktkredite und Crowdfundingplattformen wie Kickstarter oder GoFundMe sind weitere Ausprägungen dieses Trends.

Traditionelle Finanzierungsformen wie Private Equity und Bankdarlehen sind allerdings keineswegs überholt. Sie sind weiterhin die Basis der Unternehmensfinanzierung. Gleichzeitig werden die Kapitalstrukturen flexibler und sind enger mit den Strategien und Zeithorizonten der Unternehmen verknüpft.

Tatsache ist: Es wird in Zukunft eine größere Vielzahl von Investoren für eine größere Vielzahl von Investments geben.

Eine der wichtigsten unternehmerischen Aufgaben ist die Entwicklung  digitaler und disruptiver Geschäftsmodelle. Wer für die Zukunft gerüstet sein will, muss einen wahren Balanceakt schaffen. Denn fortan reicht ein Motor für das erfolgreiche Vorankommen nicht mehr aus, ein zweiter ist erforderlich. Wir nennen es „Engine 1″ und „Engine 2″.

Engine 1 bezeichnet das traditionelle Geschäftsmodell: Dieses muss man pflegen, ausbauen und transformieren, weil mit ihm heute und auch auf Sicht das Geld verdient wird. Mit  Engine 2 muss man ein neues, disruptives Geschäftsmodell aufbauen, das die Erträge von morgen sichert.

Der Ansatz „Engine 1 plus Engine 2″ erlaubte es etwa dem Comicverlag Marvel, sein Verlagsgeschäft weiterzuentwickeln, während gleichzeitig das Figuren-Lizenzmodell entstand, das zum neuen Kern des Unternehmens wurde. Netflix nutzte jahrelang die Profite aus dem traditionellen DVD-Verleih, um das Wachstum des heutigen Streaminggeschäfts zu finanzieren. Der PC-Hersteller Dell richtete seine neue Strategie auf Unternehmenslösungen aus, während das alte Low-Cost-Computergeschäft restrukturiert wurde. Und SAP startete neben seinem Kerngeschäft die Transformation in die Cloud und hat mit der Einführung von SAP HANA als Datenbankplattform die Standards der Branche revolutioniert.

Zwei Motoren heißt, parallel zwei Ansätze zu verfolgen: die konventionelle Weiterführung des bestehenden Geschäfts und der kreative, mutige Sprung ins kalte Wasser. Beides unter einen Hut zu bringen wirft schwierige Fragen auf. Eine der wichtigsten lautet, ob Engine 2 ein externes Start-up oder Teil des Stammhauses ist. Nach meiner Erfahrung sollten neue, revolutionäre Ansätze separat, mit eigenen Teams und Budgets aufgesetzt werden. In der Folge ist es jedoch wichtig, dass die neue Idee im Stammunternehmen nachhaltig protegiert wird. So ist Engine 2 nicht nur die Quelle neuen Wachstums, sondern auch die Zugmaschine, die das gesamte Unternehmen in die Zukunft befördert.

Diese fünf Stoßrichtungen werden das Unternehmen der Zukunft prägen. Zentrale strategische Erfolgsrezepte haben weiterhin Gültigkeit, etwa eine überlegene Kostenposition, ein einzigartiges Kundenerlebnis oder die Kontrolle über einen Industriestandard. Radikal verändern jedoch wird sich für Unternehmenslenker die Art ihres Handelns.

Wichtig dabei ist: Nicht diejenigen werden sich durchsetzen, die am stärksten und größten sind, sondern diejenigen, die sich am besten und schnellsten anpassen können.

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